Widerstand in Mecklenburg-Vorpommern

Wismar: Zeuge Jehovas ging 1933 nach dem Verbot durch die Nationalsozialisten in den Untergrund und organsierte Zusammenkünfte

9. September 1936

Zeugen Jehovas

Wilhelm Wohler (1889–1940) trat 1921 aus der evangelischen Kirche aus und ließ sich als Bibelforscher (Zeuge Jehovas) taufen. Spätestens ab 1922 leitete er die Bibelforschergemeinde in Wismar. Aufgrund eines Unfalls, bei dem er die Sehkraft des rechten Auges einbüßte, konnte er nicht mehr als Stellmacher arbeiten und schloss 1933 seine Werkstatt. Im selben Jahr fand er in der Schleiferei der Firma Häußler in Wismar eine Beschäftigung.

Die Wismarer Gemeinde der Zeugen Jehovas ging 1933 nach dem Verbot durch die Nationalsozialisten in den Untergrund. Wilhelm Wohler organisierte mit dem Wismarer Schuhmacher Heinrich Woest weiterhin die Zusammenkünfte und den Missionsdienst. Wohler hielt zudem Kontakt zu den Gemeinden in Schwerin und Grevesmühlen. Er traf sich mit reisenden Vertretern der Glaubensgemeinschaft und versorgte die Gruppe mit dem nun verbotenen „Wachtturm“ sowie mit Büchern und Broschüren. Im Juni 1936 bildete die Gestapo ein eigenes Sonderkommando zur Verfolgung der Glaubensgemeinschaft. Infolgedessen kam es im August und September 1936 zu einer ersten reichsweiten Verhaftungswelle, bei der auch Wilhelm Wohler am 31. August auf seiner Arbeitsstelle festgenommen wurde. Am 9. September kam er in die Strafanstalt Neustrelitz-Strelitz. Einige Monate später, am 3. Februar 1937, tagte das Schweriner Sondergericht in Wismar gegen ihn und sieben weitere Zeugen und Zeuginnen Jehovas aus Wismar und Grevesmühlen. Wilhelm Wohler wurde auf Grundlage der §§ 1 und 4 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 (Reichstagsbrandverordnung) zu zwei Jahren Gefängnishaft verurteilt. In Neustrelitz-Strelitz wechselte er am 16. April 1937 von der „Schutzhaft“ in den Strafvollzug.

Da Wilhelm Wohler eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte hatte, fiel er unter das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 1. Januar 1934. Das Erbgesundheitsgericht Neustrelitz beschloss am 6. Juli 1937 seine Zwangssterilisation. Wohler legte Beschwerde ein, die das Erbgesundheitsgericht Rostock jedoch verwarf. Am 28. Mai 1938 wurde er in die Strafanstalt Dreibergen-Bützow verlegt. Im dortigen Anstaltslazarett erfolgte wenige Tage vor dem Ende seiner Strafverbüßung die Zwangssterilisation. Am 3. November 1938, dem Tag seiner Entlassung, wurde er von der Gestapo in „Schutzhaft“ genommen und über Neustrelitz-Strelitz in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert, wo er am 6. November 1938 eintraf. Am 24. März 1940 schrieb er einen Brief an seine Schwester Anna. Weil er nach wie vor zu seinem Glauben stand, durfte er nur wenige Zeilen aus dem KZ schreiben, auf dem Brief prangt der Stempel: „Der Schutzhäftling ist nach wie vor hartnäckiger Bibelforscher und weigert sich, von der Irrlehre der Bibelforscher abzulassen. Aus diesem Grunde ist ihm lediglich die Erleichterung, den sonst zulässigen Briefwechsel zu pflegen, genommen wurden.“ Der Satz: „Mir geht es gut, grüße bitte alle Verwandten und Bekannten.“, sollte der letzte sein, den seine Schwester von ihm erhielt. Denn gut ging es ihm nicht. Am 5. April 1940 starb Wilhelm Wohler in Sachsenhausen an „Körperschwäche“.*

 

* Bersch, Falk: Stolpersteine in Wismar. Wismar 2018, S. 100–107.