Widerstand in Mecklenburg-Vorpommern

Greifswald: Manfred Stolpe für Reformpolitik

21. September 1988

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Der Ost-Berliner Konsistorialpräsident Manfred Stolpe, auch stellvertretender Vorsitzender des evangelischen Kirchenbundes in der DDR, hielt am 21. September 1988 eine Gastvorlesung an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald. Laut EPD-Agenturmeldung sprach er sich unter anderem für eine Reformpolitik in der DDR aus: „Dabei sollte die SED ihren Führungsanspruch in Staat und Gesellschaft weniger durch Administration und überproportionale Besetzung der Leitungsfunktionen, sondern durch geistige Führung der Entwicklung und durch eine ‚überzeugende Darstellung von Zielen und Wegen‘ verwirklichen. … Zu den Aufgaben der Reformpolitik gehört es nach seiner Ansicht, daß ihre Ziele deutlicher beschrieben und mit den Bürgern erörtert werden. Dabei könne die SED davon ausgehen, daß informierte und problembeteiligte Bürger belastbar und bereit sind, auch Schwierigkeiten mitzutragen. Nötig sei zugleich eine ‚eindeutige und verläßliche Rechtsordnung‘ sowie Rechtssicherheit und Gleichheit vor dem Gesetz. Nur so könnten die Bürger existenziell erfahren, daß sie nicht ‚bevormundete Untertanen in einer unbeeinflußbaren Kommandostruktur‘, sondern ‚ernstgenommene Mitgestalter ihres Staates‘ seien. ‚Das gewachsene Selbstbewusstsein freier Bürger kann große schöpferische Kräfte wecken‘, fügte Stolpe in seinem Vortrag hinzu. Kritisch äußerte sich Stolpe erneut über fortgesetzte Benachteiligungen junger Christen in ihrer schulischen und beruflichen Ausbildung. Auseinandersetzungen um Probleme der Gewissensfreiheit, wie sie sich im Bildungsbereich und für Wehrpflichtige immer wieder ergeben, seien ein ‚Streit von gestern‘. Vor dem Hintergrund gemeinsamer Verantwortung und der gewachsenen Dialogbereitschaft zwischen Christen und Marxisten müsse die volle Chancengleichheit christlicher Bürger und insbesondere von jungen Christen gewährleistet sein. ‚Um der gemeinsamen Zukunft willen dürfen Diskriminierungen oder Benachteiligungen christlicher Bürger wegen ihres Glaubens nicht geduldet werden‘, sagte er. Nachdrücklich setzte sich der Konsistorialpräsident für einen rechtlich gesicherten zivilen Einsatz von Wehrpflichtigen ein, die aus Glaubens- und Gewissensgründen einen Waffendienst verweigern. Ihren Einsatz an militärischen Objekten, aber auch den Wortlaut des Gelöbnisses und ihre äußerliche Einbeziehung in die DDR-Volksarmee wertete Stolpe als Gewissensverletzung der Betroffenen. Als mögliche Einsatzbereiche für sie nannte er den Wohnungsbau, das Verkehrswesen, die Energiewirtschaft und den Umweltschutz. Am meisten entspräche den Betroffenen allerdings ein zweijähriger ziviler Ersatzdienst im Gesundheits- und Sozialwesen.“