Widerstand in Mecklenburg-Vorpommern

Greifswald: Friedensgebete und Demonstrationen beginnen

18. Oktober 1989

Musiker Demonstration Neues Forum Friedensgebete Pastoren während der Friedlichen Revolution

Der Greifswalder Superintendent i.R. Heinrich Wackwitz schreibt: „Im Herbst 1989 hatte ich in der Odebrechtstiftung einige erwachsene Konfirmanden, die sich im Tauf- bzw. im nachgeholten Konfirmandenunterricht befanden, und ich fuhr also jede Woche am verabredeten Tag dorthin. Dabei hat mich dann – es muß am 12. oder 13. Oktober gewesen sein, der Vater von einem Konfirmandenzwillingspaar im normalen Konfirmandenalter – hieß er Opanke oder Orowitz? – gefragt, warum es denn in Greifswald keine Friedensgebete gäbe; das war für mich der Anstoß, etwas zu tun. Ich rief eine außerordentliche Pfarrerbesprechung zusammen – es war m.W. am Samstag, den 14. Oktober – und wir einigten uns, daß wir am Mittwoch, den 18. Oktober ein erstes Friedensgebet im Dom, m.W. um 17 Uhr, starten wollten. Bruder [Gerhard] Dallmann und ich wurden beauftragt, die Vorbereitung zu übernehmen. Ich weiß gar nicht, wie wir diese Nachricht bekannt gemacht haben, sicher gab es ein paar unattraktive Plakate und eine Abkündigung in den Gottesdiensten am Sonntag, dem 15.10. Auch ich selbst habe am Montag oder Dienstag den Stellvertreter des OB für Inneres, Herrn Dr. Schulz, telefonisch benachrichtigt, auf seine Einwände hin habe ich ihm versprochen, daß es bei der Andacht in der Kirche um einen rein religiösen Gebetsgottesdienst gehen würde, für das was möglicherweise im Anschluß daran passiere, könne ich keine Verantwortung übernehmen. Ich würde lügen, wenn ich behauptete, daß ich diesem ersten Friedensgebet mit großer Zuversicht entgegen gegangen bin. Auf der einen Seite hatte ich keine große Beteiligung erwartet, auf der anderen Seite hatte ich nicht wenig Angst vor dem damals bei uns im Norden noch recht gut funktionierenden Staatsapparat. Diese Furcht zeigt sich auch in meiner Ansprache in einem geradezu ängstlichen Festhalten an biblischen Zitaten. Bruder Dallmann hatte einen sehr mutigen Beitrag als Fürbittegebet oder als Situationsschilderung ausgearbeitet. Dieser Beitrag ist wegen meiner Bedenken nicht vorgetragen worden. Ob das in der Anlage zu diesem Bericht von uns vorgetragene Fürbittgebet aus diesem in der Schublade gebliebenen Beitrag entwickelt worden ist oder selbständig formuliert wurde, weiß ich nicht mehr genau. Jedenfalls funktionierte die Zusammenarbeit von uns beiden recht gut. Es mußte alles schnell gehen. Mitten in die Vorbereitungen am Mittwoch platzte noch die Meldung vom Rücktritt Honeckers. Sicher ist nur, daß wir das Gebet im überfüllten Dom gemeinsam vorgetragen haben. Bruder Dallmann den ersten und dritten Teil, ich den zweiten Teil und den Schluß, jeweils unterbrochen von dem gesungenen Kyrie aus der orthodoxen Tradition, das sich schnell einbürgerte und zum Markenzeichen auch der weiteren Friedensgebete wurde. Wichtig war auch die Zusammenarbeit mit dem Domorganisten [Gerhard] Kaufeldt, der mit seinen einfühlsamen Orgelmeditationen zum Gelingen der Friedensgebete nicht unwesentlich beitrug. Im Umfeld dieses ersten Friedensgebetes gab es einige Irritationen. Ein Mann vom Greifswalder Theater, - den Namen weiß ich nicht mehr, - bat mich im Anschluß an das Friedensgebet, einen Aufruf verlesen zu dürfen. Ich habe das nicht zugelassen, um den religiösen Charakter des ganzen nicht zu gefährden, dazu stand ich Dr. Schulz gegenüber im Wort, denn das war im Umgang mit der SED immer für mich wichtig, getroffene Verabredungen müssen eingehalten werden, jedenfalls was die kirchliche Seite betrifft. Wenn die andere Seite es gelegentlich anders hielt, stand das auf einem anderen Blatt. Um so ärgerlicher war ich dann, als Bruder Dr. [Christoph] Poldrack nach dem vorgesehene Ende des Friedensgebetes zum Podium eilte, und den Gründungsaufruf des Neuen Forums verlas. Ich konnte das ohne öffentlichen Eklat nicht verhindern. Erschwerend kam hinzu, daß die Verlesung eine ziemlich lange Zeit beanspruchte, dadurch lange Weile auslöste, und die meisten der Teilnehmer am Friedensgebet keine Sitzgelegenheit hatten, also stehen mußten. Als ich Dr. Poldrack in den folgenden Tagen fragte, warum er mir nicht vorher Mitteilung von seiner Absicht gemacht habe, hat er mir geantwortet, daß er Sorge gehabt hätte, ich hätte Bischof Gienke in dieser Sache um Rat fragen können, und der hätte dann die Sache blockiert, wobei er mein damaliges Verhältnis zum Bischof völlig falsch eingeschätzt hat. Allerdings hätte ich wahrscheinlich tatsächlich versucht, ihn von der Verlesung abzubringen, schon um gegenüber den staatlichen Stellen nicht wortbrüchig zu werden, aber auch im Hinblick auf die abgeschlagene Bitte jenes Mannes vom Theater, der sich mit Recht hätte fragen können, warum Dr. Poldrack und ich nicht. Ich kann heute die Handlungsweise von Dr. Poldrack besser verstehen. Was sollte er machen? Eine Möglichkeit, den Aufruf des Neuen Forums im Druck zu verbreiten, bestand faktisch nicht.“[1] Anschliessend begann die erste Demonstration in Greifswald.

[1] Wie hat es angefangen mit den Friedensgebeten 1989 in Greifswald? Aufgezeichnet nach seiner Erinnerung 10 Jahre danach von Superintendent i.R. Heinrich Wackwitz http://webcache.googleusercont...