Widerstand in Mecklenburg-Vorpommern

Eldena: Pastor Martin Hübener wegen Mitgliedschaft in Bekennender Kirche nach Brüz versetzt

15. Juli 1935

Bekennende Kirche Widerstand aus der Evangelischen Kirche

 

Zum 1. Juli 1935 wurde Pastor Martin Hübener wegen seiner Mitgliedschaft in der Bekennenden Kirche von Eldena nach Brüz bei Goldberg versetzt. Da er sich dieser Versetzung verweigerte wurden ihm ab dem 15. Juli sämtliche religiösen Amtshandlungen verboten. Seine Familie musste das Pfarrhaus verlassen. „Deutsche Christen“[1] hinderten ihn am Betreten der Kirche, woraufhin er seine Gottesdienste im Pfarrhaus abhielt. Am 1. September 1935 sollte außerdem Pastor Möller aus Wettmar bei Hannover einen Gottesdienst halten. Zu Beginn des Gottesdienstes stürmten SA-Leute das Pfarrhaus, verprügelten Hübener und Möller wie auch Gottesdienstteilnehmer.  Hübener und Möller wurden für einen Tag im Ludwigsluster Gefängnis inhaftiert.[2]

Ein zeitgenössischer Bericht der Ehefrau Adine Hübener über die Vorgänge vom 1. September 1935 hielt zeitnah fest: „Mein Mann, Pastor Martin Hübener in Eldena, gehört von Anfang an der Bekennenden Evangelisch-Lutherischen Kirche in Mecklenburg an. Er hat als Seelsorger für dieses sein Eintreten für das unverfälschte Evangelium mannigfaches Ungemach erlitten. Die Gemeinde, die er seit 6 Jahren in Eldena hat betreuen dürfen, steht bis auf wenige Ausnahmen treu zu ihm und billigt nicht, was von einigen Störenfrieden gegen ihn unternommen wird. Der rechtswidrig amtierende deutsch-christliche Oberkirchenrat in Schwerin hat meinen Mann mit Wirkung vom 1. Juli von Eldena nach Brüz versetzt. Daraufhin hat mein Mann, der sich seiner Gemeinde eng verbunden weiß, sich geweigert, seine Gemeinde im Stich zu lassen und sie den deutsch-christlichen Irrlehren auszuliefern. Meinem Mann sind daraufhin die Amtshandlungen verboten worden. In die Gemeinde eingewiesen wurde durch den Evangelischen Oberkirchenrat ein gewisser Diakon Runge, der im Rauhen Haus in Hamburg gearbeitet hatte, dort aber dem Vernehmen nach aus hier nicht näher wiederzugebenden Gründen ausscheiden mußte. Während die Gemeinde in Eldena in ihrer ganz überwiegenden Mehrheit hinter meinem Mann steht, ist der Kirchengemeinderat gespalten, die eine Hälfte steht zu meinem Mann, die andere zu dem deutsch-christlichen Oberkirchenrat. Von Unbekannten wurde die Kirche für meinen Mann geschlossen — vor etwa 2 Monaten. Es fanden sich nämlich auf einmal an allen Kirchtüren neue Schlösser, zu denen mein Mann keine Schlüssel hatte. Während nun der Diakon in der Kirche seine nur von sehr wenigen Leuten besuchten Gottesdienste abhält, ist mein Mann genötigt, sie im Pfarrhaus oder in der Pfarrscheune abzuhalten:

Die Gemeinde besucht in ihrer überwiegenden Mehrheit die Gottesdienste meines Mannes. Sonntag, dem 1. September, hatte in der üblich gewordenen behelfsmäßigen Weise mein Mann in unserer Scheune wieder Gottesdienst gehalten. Abends um 6 Uhr sollte ebenfalls im Pfarrhaus ein weiterer Gottesdienst stattfinden, bei dem Pastor Möller aus Wettmar in Hannover predigen sollte. Kurz vorher, um 4 Uhr nachmittags, fand in Eldena eine Demonstration gegen die Dunkelmänner statt, die sich im besonderen auch gegen meinen Mann richtete. Diese Kundgebung war veranstaltet von der SA oder der politischen Organisation. Wir nahmen an, daß die Demonstration bis zum Beginn unseres Gottesdienstes bereits beendigt sein werde, und daß darum Störungen nicht zu befürchten seien.

Es versammelten sich also in unserem Eßzimmer und den Nebenzimmern einige 80 Erwachsene. Nach dem ersten Lied und dem gemeinsam gesprochenen Glaubensbekenntnis öffneten SA-Leute die Tür und erklärten, sie wollten auch zuhören. Draußen, vor der Tür, entstand Lärm. Es kam ein Spielmannszug in den Hof. Die in der Nähe der zum Gottesdienst benutzten Zimmer gelegenen Räume unseres Hauses füllten sich mit lärmenden uniformierten SA-Leuten. Sie begannen, nun im Hause zu lärmen und Beschimpfungen und Gotteslästerungen auszustoßen.

Anscheinend auf ein gegebenes Kommando begannen sämtliche Eindringlinge zu lärmen, so daß jede weitere Verständigung unmöglich wurde. Der Wortführer schrie Herrn Pastor Möller zu:

,Nun lassen Sie das Quatschen endlich nach, wir haben uns genug bieten lassen!' Es erschollen dann Rufe wie Judenknecht' „Volksverführer' . ,Ihr habt die Bauern und Büdner nun schon lange genug an der Nase herumgeführt.' Dazwischen sagte mein Mann, als sich Pastor Möller einfach nicht mehr verständlich machen konnte: ,Nun wollen wir noch ein Schlußlied singen.' Ihm wurde entgegnet: ,Wir singen das Horst-Wessel-Lied; das Schlußlied bestimmen wir!' Die SA-Leute stimmten dann das Horst-Wessel-Lied an. Da Pastor Möller und mein Mann sich im Gottesdienst befanden und Herr Pastor Möller den Ornat trug, so zögerten sie auch in Erwägung der ganzen Umstände, den Arm zum deutschen Gruß zu erheben. Da wurde ihnen der Arm hochgerissen, und mehrere schrieen: ,Mitsingen'. Das schien das Signal zum Losschlagen zu sein. Zuerst erhielt mein Mann einen Faustschlag in den Nacken, dann Pastor Möller rechts und links Faustschläge in die Zähne.

Noch vorher schien ein Kirchenältester namens Fründt, der in gewissen Parteikreisen als Reaktionär gilt, nebst seinem Sohn verprügelt worden zu sein. Diese beiden trugen stark blutende Verletzungen davon. Zur gleichen Zeit wurde mein Sohn von SA-Leuten abtransportiert, die ihm an den Kopf schlugen und ihn auch sonst prügelten, seine Kleidung zerrissen und ihn auf diese Weise zum Haus hinausstießen. Mein Mann und Pastor Möller wurden auf den Hinterhof hinausgezerrt. Einige sprachen von Aufhängen. Man stieß sie zum Tor hinaus auf die Straße. Nach dem Schlag gegen die linke Schläfe unter das Auge fiel mein Mann zu Boden, kam aber gleich wieder hoch. Herrn Pastor Möller wurde der Ornat und der schwarze Rock in Fetzen gerissen.

Wir sollten nun im Zuge mit durchs Dorf marschieren. Nunmehr griff jedoch der Kreisleiter ein: Die SA solle Disziplin zeigen; er habe der Schweriner Polizei gemeldet, daß in Eldena eine große Erregung entstanden sei, und habe nunmehr den Befehl, beide Geistlichen in Schutzhaft zu nehmen. Die übrigen Teilnehmer am Gottesdienst solle die SA sicher nach Hause geleiten. Einige von ihnen wurden stattdessen kreuz und quer durchs Dorf geführt, mit Schimpfreden bedacht und auf dem Markt zur allgemeinen Beschimpfung ausgestellt. Der sogenannte Pastor Witzel, ein gewesener Kommunist, der sich dessen rühmt, dann Volksmissionar, jetzt vom deutsch-christlichen Schweriner Oberkirchenrat zum Domprediger in Schwerin befördert, hielt auf dem Marktplatz eine Brandrede und fanatisierte einen Teil der Bevölkerung dahin, daß sie Pfui-Rufe gegen die Teilnehmer an unserem Gottesdienst ausstießen und ihnen die Zunge herausstreckten und auf sie einschlugen.

Mein Mann wurde zum Schulzen gebracht, bei dem sich unser Sohn befand. Dann wurden sie in das Rathausgefängnis in Ludwigslust gebracht; am Montag in das Amtsgerichtsgefängnis. Am 2. September um 1 Uhr wurden sie entlassen. Ein Artikel ‚Gegen den politischen Protestantismus' in der Elde-Zeitung vom Montag den 2. September, Nr. 204 stellt den Vorfall so dar als wäre der Nachmittagsgottesdienst gegen die von der Partei bzw. SA organisierte Demonstration gegen die Dunkelmänner gedacht gewesen. Dies ist unrichtig. Schon der Umstand, daß wir ganz still uns im Pfarrhaus um Gottes Wort sammelten, beweist, daß uns eine Demonstration ganz fern lag. Außerdem stand schon seit Wochen fest, daß an diesem Tage ein Gottesdienst zu dieser Zeit sein sollte. Allerdings war zunächst vorgesehen, daß er um 8 Uhr, wie gewöhnlich sein sollte. Pastor Möller sprach jedoch den Wunsch aus, ihn etwas vorzuverlegen, weil er noch am gleichen Tage in seiner alten Gemeinde in Conow sprechen wollte. Als mein Mann und mein Sohn abgeführt worden waren, kamen etwa um 10 Uhr der Ortsgruppenleiter der Partei, der Ortsgruppenleiter der Deutschen Christen und einige SA-Leute, sowie der Hilfsprediger Runge mit zwei Polizisten zu mir ins Pfarrhaus und nahmen mir trotz meines Protestes das Kirchenbuch, sämtliche Spar- und Kontobücher der Kirche und die Gesangbücher ab. Auch die Abendmahls- und Taufgeräte haben sie mir abgenommen, sowie die Altarkleidung. Ich wies gleich zu Anfang darauf hin, daß vom Gericht am Samstag, den 31. August, die Anordnung ergangen war, alles beim alten zu lassen, bis die Beschlußstelle entschieden hätte. Der Ortsgruppenleiter der Partei antwortete darauf: ‚Wenn Sie nicht ein Frauenzimmer wären, dann würden Sie einen in die Fresse kriegen.'

Als ich auf der Aufnahme eines Protokolls bestand, und dieses schließlich auch angefertigt war, erklärte ich, daß ich dieses Protokoll nur unterzeichnen werde, wenn ich zum Ausdruck bringen dürfte, daß mir die der Ev.-Luth. Gemeinde in Eldena gehörigen Sachen nur unter Zwang abgenommen worden seien. Der Ortsgruppenleiter der Partei äußerte daraufhin: ‚Das ist eine ganz Freche, die hätten sie heute Nachmittag gleich mit ins Konzentrationslager nehmen sollen und dann nach Palästina.'“[3]

Der „Niederdeutsche Beobachter" betitelte am 25. Juli 1935 einen Artikel über Hübener mit „Der Finsterling von Eldena". Im Jahr 1937 verhängte die Gestapo gegen Hübener außerdem ein Aufenthaltsverbot für den Landkreis Ludwigslust. Da er sich dem verweigerte, wurden er wie auch seine Familie festgenommen und in ein Schweriner Gefängnis gebracht. Von dort wurde Hübener bis zum 13. April 1938 in die Haftanstalt Strelitz-Alt verlegt. Im März 1938 wurde sein Name in die Fürbittenliste der Bekennenden Kirche für die vom Regime verfolgten Geistlichen aufgenommen.[4]

[1] https://www.dhm.de/lemo/kapite...

[2] Vgl. Inachin, Kyra T.: Von Selbstbehauptung zum Widerstand. Mecklenburger und Pommern gegen den Nationalsozialismus 1933 bis 1945, Kückenshagen 2005, S. 199f.

 

[3] Inachin, Kyra T.: Von Selbstbehauptung zum Widerstand. Mecklenburger und Pommern gegen den Nationalsozialismus 1933 bis 1945, Kückenshagen 2005, S. 200ff.

[4] Vgl. Ebenda, S. 203.