Widerstand in Mecklenburg-Vorpommern

Vipperow: DIE MOBILEN FRIEDENSSEMINARE IM OSTEN MECKLENBURGS Langversion/Teil II

1. August 1985

Friedensseminare

 

1.1.  Das Mobile Friedensseminar 1984

 

Das Mobile Friedensseminar von 1984 war das erste, welches von den Organisatoren aber auch der ELLKM und den staatlichen Organen in einer neuen Qualität hinsichtlich Umfang und Intensität vorbereitet wurde, die sich bis einschließlich 1988 durchhielt. War das 1983er Friedensseminar noch ein „gemeinsames Finden“, fand das 1984er schon zu einem „gemeinsamen Wollen“.[1]

 

Erstmals lag die Vorbereitung des Friedensseminars in der Hand einer Vorbereitungsgruppe, die nahezu ausschließlich aus Theologen[2] bestand. Schnell erwiesen sich für Markus Meckel die kirchenrechtlichen Implikationen der Zusammensetzung dieser Vorbereitungsgruppe als seinen Plänen hinderlich. Die Pastoren Pietsch, Gutzeit und Körner waren dem Landessuperintendenten Winkelmann unterstellt, der sich schon 1983 eher als Gegner des Friedensseminars erwiesen hatte. Die dadurch jedem der Pastoren in der Vorbereitungsgruppe erwachsenden Loyalitätsprobleme und das häufige kontraproduktive Eingreifen Winkelmanns in die Vorbereitung und die Durchführung des Friedensseminars führten zu einer massiven Beschränkung der ursprünglichen Pläne der Organisatoren, vor allem derer Meckels.

Mit der Festlegung von Neustrelitz als Veranstaltungsort des Abschlußwochenendes wurde die Verantwortung für die Vorbereitung den dort zuständigen und anscheinend gemäßigteren Pastoren Körner und Pietsch übertragen und Meckel nahezu gänzlich entzogen. Für das Abschlußwochenende hatte der Neustrelitzer Pastor Zarft die Verantwortung.

Daß das Abschlußwochenende in Neustrelitz stattfinden sollte, konnte der IM Pietsch schon am 13. September 1983 seinem Führungsoffizier berichten.[3] Wie es aber zu diesem Beschluß kam und wessen Interessen sich hier durchsetzten, ist den überlieferten Akten nicht eindeutig zu entnehmen. Diese lassen aber erkennen, daß LSP Winkelmann bemüht war, das Friedensseminar nicht innerhalb seines territorialen Verantwortungsbereiches stattfinden zu lassen. Winkelmann war laut einer stasiinternen Information vom 15. Dezember 1983 daran interessiert, das Friedensseminar aus seinem Verantwortungsbereich nach Neubrandenburg zu verlegen.[4] „Sollte Ntz. [Neustrelitz - d. Autor] bleiben, trotzdem so rechtzeitig wie möglich den Winkelmann verunsichern!“[5] Dieser (in seiner Bedeutung nicht ganz klare) handschriftliche Vermerk auf einer Stasiakte deutet das Interesse des Staatssicherheitsdienstes an, auf die Wahl des Veranstaltungsortes des Abschlußwochenendes Einfluß zu nehmen, und läßt vermuten, daß LSP Winkelmnann auch in Folge der Einwirkung des Staatssicherheitsdienstes dem Friedensseminar seine Unterstützung versagte.

In der Vorbereitungsgruppe waren zeitweise sowohl Mitglieder des Pankower Friedenskreises als auch einer Berliner Gruppe von „Frauen für den Frieden“ vertreten. Diese Vorbereitungsgruppe traf sich erstmals am 3. Dezember 1983 in Neustrelitz bei Michael Körner, „um die ersten Vorstellungen zu beraten und die Grobplanung vorzunehmen“.[6] Der IM Pietsch konnte sich mit seinem Vorschlag, „Verantwortung-Versöhnung“ zum übergreifenden Seminarthema zu machen, gegen Meckel durchsetzen, der „wesentlich horrigere“ Themen vorschlug wie „Nicht als Knecht auf die Welt gekommen“ oder „Aufrecht geboren, aufrecht gelebt, aufrecht gestorben“.[7]

Durch die AGF „abgesegnet“ wurde das Programm des Friedensseminars in ihrer Sitzung am 9. Januar 1984. Meckel war daraufhin am 13. Januar 1984 bemüht, „dieses Vorhaben in die Kirchenleitungssitzung am 13. 1. 1984 einzubringen, dort publik zu machen und somit gleichzeitig eine Zustimmung der Kirchenleitung (KL) zu erwirken.“[8] Dort brachte auch Winkelmann seine Bedenken vor, konnte seine Vorstellungen von Durchführungsort und Verantwortungsebene jedoch nicht durchsetzen.[9]

Durch LSP Timm und LSP Winkelmann wurde nun an Meckel „die Forderung herangetragen, [...] sich selbst aus dem Vorhaben möglichst herauszuhalten. WINKELMANN hat ihm das sehr deutlich gesagt - es müsse nicht immer sein Name vorneweg stehen.“[10] Er war generell der Ansicht, durch die Friedensseminare „können die staatlichen Dienststellen eine Handhabe bekommen, um die bis jetzt immer noch stillschweigend geduldeten Rüstzeiten [von den Landeskirchen durchgeführte, zum Teil mehrwöchige Zusammenkünfte vor allem von Jugendlichen in speziell dafür unterhaltenen Heimen. Zweck war neben der Erholung die Vermittlung „christlichen Rüstzeugs“ im weitesten Sinne. - d. Autor] zu verbieten“.[11]

Die Auseinandersetzungen zwischen Meckel und Winkelmann setzten sich fort, und im Vorbereitungskreis schloß „man sich der Meinung an, daß sich MECKEL zurückhalten sollte“.[12] Winkelmann sollte aber nicht in die Vorbereitungsgruppe mit einbezogen werden, „sondern nach jeder Sitzung über den aktuellen Stand eine Information“[13] erhalten.

Um weiteren Spannungen vorzubeugen, wurde auf einer Vorbereitungssitzung im März ein Komitee gewählt, „dem ZARFT angehört und noch 2 Pastoren, die dann verantwortlich sind für die Begutachtung/Entscheidung bestimmter Dinge, so z.B., ob die Ausstellungen inhaltlich so gebracht werden können wie vorgesehen und ähnliche Dinge“.[14]

Darüber hinaus sollte endgültig „als Organisator des ‚Friedensseminars‘ der Friedenskreis ‚Vipperow‘ nicht in Erscheinung treten. Um staatlichen Eingriffen vorbeugen zu wollen, tritt die Kirchgemeinde Neustrelitz, Stadtkirche Nord, als einladende Gemeinde in Erscheinung.“[15]

Zudem kam das Thema Friedensseminar in einem Gespräch in einer „Privataudienz“ Meckels bei Landesbischof Christoph Stier[16] zur Sprache. Dies kann als Versuch Meckels gewertet werden, unter Umgehung seiner dem Friedensseminar eher ablehnend gegenüberstehenden direkten Vorgesetzten das Friedensseminar innerkirchlich an höherer Stelle rückzuversichern.

Um das Friedensseminar und andere Aktivitäten vor Ort zu legitimieren, schlug Meckel außerdem den erwarteten niederländischen Friedensseminarteilnehmern vor, „den Bürgermeister in Vipperow anzuschreiben und über ihre Aktivitäten zur Herstellung von Patenbeziehungen zu berichten. Durch diese Maßnahmen will M. erreichen, daß staatliche Organe in pazifistische Aktivitäten integriert werden.“[17]

 

Vom Staatssicherheitsdienst wurde Markus Meckel nun mit Zersetzungsmaßnahmen bearbeitet, was durch sein Engagement im Friedensseminar wesentlich mitbedingt war. Mittels kompromittierender Fotos (vergleiche Vorjahr) wurde versucht, sein enges Verhältnis zu Martin Gutzeit zu zerstören und das Ansehen seiner Person und seiner Familie in ihrem sozialen Umfeld zu beeinträchtigen. „Positiv beeinflußt hat diesen sich abzeichnenden Zersetzungsprozeß die öffentlichkeitswirksame Diskreditierung des M. mittels konspirativ verbreiteter Kompromate in der Gemeinde des M., in deren Ergebnis [...] eine breite, von allen Altersgruppen der Gemeinde getragene Stimmung gegen Pfarrer M. errreicht wurde, die darin gipfelt, daß Forderungen erhoben werden, den M. abzulösen und Gottesdienste zu boykottieren.“[18]

Am 25. Januar 1984 erhielt Meckel Besuch von einem Mann, der sich als „Mitarbeiter des Ministerium des Inneren“ vorstellte. Eigentlich hieß der Mann Klaus Roßberg und war der Stellvertreter des Leiters der HA XX/4 des MfS in Berlin. Die vom MfS damit eingeleitete so genannte „Kontaktphase“ signalisiert im Nachhinein sowohl das gesteigerte Interesse höchster Stellen im Ministerium am Friedensseminar und der Person Meckels als auch das Versagen der konventionellen Bearbeitungsmittel, wie Zersetzungsmaßnahmen und bloße Ausspionierung.

Da das Gespräch „über die Zusammenarbeit von Staat und Kirche [...] sowie über die Geschichte in Neustrelitz Anfang August“[19] nicht im Sinne Roßbergs verlief, wurde am 17. April 1984 in einer „Konzeption zur weiteren operativen Bearbeitung des OV ‚Wanderer‘“ die „Weiterführung der Kontaktphase mit Pastor M. durch die HA XX/4 in Koordinierung mit der Abt. XX der BV Neubrandenburg“[20] beschlossen. „In Abstimmung mit dem Stellv. für Inneres, Rat des Bezirkes, Dr. Geisler, ist auf der Ebene des Staatsapparates ein geeigneter Gesprächspartner (Referent für Kirchenfragen bzw. Stellv. für Inneres Rat des Kreises Röbel) auszuwählen und zu beauftragen, mit Pastor M. kontinuierlich Gespräche zu führen.“[21] In den folgenden Jahren fanden dann auch einige, wenn auch nicht kontinuierlich geführte  Gespräche des Stellvertreters für Inneres des Rates des Kreises Röbel mit Meckel statt.

Nach einer von der BV Neubrandenburg des MfS erarbeiteten und dem 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED im Bezirk Neubrandenburg, Chemnitzer, zugestellten Information über das Friedensseminar vom 17. Mai 1984 erfolgte durch das Ministerium für Staatssicherheit in Berlin außerdem „eine Information an die Parteiführung mit dem Ziel, zu veranlassen, daß durch den Staatssekretär für Kirchenfragen, Genossen Gysi, dem Bischof der Landeskirche Mecklenburg mitgeteilt wird, daß öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen außerhalb kirchlicher Räume nicht gestattet werden und Veranstaltungen dem Charakter des

 

Gedenkens an die Opfer von Hiroshima und Nagasaki zu entsprechen haben.“[22]

Am 22. Juni 1984 wurde der in der DDR-Umweltbewegung aktive Michael Happe bei einem Treffen in einer konspirativen Wohnung in Neubrandenburg vom MfS als IM geworben mit dem „Auftrag: -Information über die Teilnahme von Mitgliedern der ESG [Evangelische-Studenten-Gemeinde - d. Autor] am Friedensseminar in Neustrelitz.“[23]

Gleichzeitig wurde gegen einige niederländische Friedensseminarteilnehmer eine Einreisesperre verhängt.[24] Es kam deshalb zur Teilnahme von nur „13 Personen aus den Niederlanden“ und „4 Personen aus der BRD und WB“.[25] In der Auswertung des Friedensseminars durch den Staatssicherheitsdienstes hieß es später dazu: „Eine zentral abgestimmte Verfahrensweise zur differenzierten Genehmigung von Einreisen von Personen aus dem Ausland hat sich bewährt.“[26] Welchen Kriterien diese Auswahl genügte, bleibt unklar.

 

Im kirchenpolitischen Bericht des Rates des Kreises Malchin an den Stellvertreter für Inneres des Rates des Bezirkes Neubrandenburg vom 20. Januar 1984 wurde das Friedensseminar als Inhalt eines Gespräch mit Pfarrer Grapenthin aus Zarnekow mit den folgenden Worten erwähnt: „[...] er wirkt für eine Weiterführung der kirchlichen Friedensseminare“.[27] Hieran ist neu, daß zu einem Zeitpunkt, der nicht in unmittelbarer Nähe eines Mobilen Friedensseminars lag, dieses zum Gesprächsthema mit einem eher peripher daran beteiligten Pfarrer gemacht wurde, was sich in den Folgejahren des öfteren wiederholte. Seine Stellung zum Mobilen Friedensseminar war nun offensichtlich ein wesentliches Kriterium für die Beurteilung eines mecklenburgischen Pfarrers durch staatliche Organe im Blick auf sein Verhältnis zum Staat.

 

Vom 3. bis zum 12. August 1984 fand dann das eigentliche Friedensseminar statt. Es stand unter dem biblischen Thema: „Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan“. In den Orten Vipperow, Schwarz, Röbel, Wredenhagen, Neustrelitz und Neubrandenburg[28] versammelten sich in sechs Gruppen insgesamt fünfundachzig Teilnehmer.

 

Die Gruppen arbeiteten anhand einer Arbeitsmappe, die vorwiegend von Wolfgang Erler und Markus Meckel zusammengestellt worden war. „Es enthält eine Aneinanderrreihung von bekannten pazifistischen kirchlichen Positionen zu Fragen des Friedens- und des Umweltschutzes.“[29] Das Arbeitsmaterial von 1984 war umfangreicher als das des Vorjahres und thematisierte nicht mehr ausschließlich Rüstung und Gewalt. „Vor einem Jahr glaubten noch viele, daß es eine reelle Chance gäbe, die Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenwaffen in Europa zu verhindern. Heute sind diese Waffen auf beiden Seiten Realität. Trotz alledem: [...]gerade deshalb machen wir uns auf die Suche nach Wegen, die oft noch gar nicht gebahnt scheinen.[...] Diese geistige Auseinandersetzung und Arbeit können wir uns nicht ersparen, auch und gerade wenn wir uns damit dem was uns bedroht - scheinbar objektivierend - aber dabei doch intensiver stellen müssen: den Zahlen, den Strategien, den Fakten, den grausamen Mechanismen [...].“[30]

Die Autoren gingen über die bloße Rüstungskritik hinaus und fragten nun prinzipiell nach dem Verhältnis von Staat und staatlicher Gewalt zum Individuum. „Anerkenne ich legitime staatliche Funktionen? Welche sind das? [...] Welches Recht hat der Staat gegenüber dem Individuum? Erfahre ich legitime Forderungen an mich als Einschränkung meiner persönlichen Freiheit? Welche Pflichten habe ich gegenüber dem Staat?“[31]

 

 

Im Licht des 40. Jahrestages der Barmer Erklärung[32] wurde unter Beibehaltung des formalen

Prinzips von Zitatkollage und Kommentar die Arbeitsmappe sowohl als Informationsmaterial wie auch als Argumentationshilfe aufgebaut. In Konfrontierung mit Themen wie Hunger und Entwicklungsfragen, dem Verhältnis Mensch und Natur oder Wissenschaft und Frieden wurde sowohl versucht, dem Leser in Frageform seine Situation erkennbar zu machen, wie auch Handlungsmöglichkeiten im Rüstungs- und Umweltverschmutzungsprozeß und Möglichkeiten persönlichen und kollektiven Widerstehens aufzuzeigen.

Wie schon im Vorjahr und auch noch in den folgenden Jahren wurde das Konzept des persönlichen Friedensvertrages vorgestellt. Den Materialien war ebenfalls ein Text „Zum Selbstverständnis von Friedenskreisen - Thesen zum Gespräch“ von Markus Meckel beigelegt.

 

Die inhaltliche Arbeit der Gruppen gestaltete sich aber unterschiedlich. Es bestand „insbesondere zwischen den Gruppen aus Vipperow, Röbel, Wredenhagen und Schwarz ein ständiger Kontakt durch gemeinsame Begegnungen (Diskussionen und Freizeitgestaltung)“.[33]

Der IM Michael Happe schätzte die Arbeit aller Gruppen generell wie folgt ein: „Hier wurden Thematiken behandelt, die sich in dieser Zeit begeben hatten, diese Veranstaltungen waren nicht organisiert bzw. nicht im Detail durchprobiert, das Arbeitsmaterial wurde dort in den Gemeinden verteilt. Neben Sport, Spiel und Freizeitgestaltung wurden in dieser Woche Anregungen durch dieses Material gegeben, sich mit diesen Fragen zu identifizieren bzw. zu diskutieren. Die Auswertung konnte nicht konkret erfolgen, da die Meinungen der Beteiligten in den einzelnen Orten relativ stark auseinander gingen. Dieses lag teilweise an den großen Altersunterschieden in den einzelnen Gemeinden und fehlender straffer Diskussionsordnung, da sich an die herausgegebenen Materialien gehalten wurde. Andererseits wurde in anderen Gemeinden durch die Anzahl der kleinen Kinder die Organisation etwas durcheinander gebracht.“[34]

Von der Gruppe in Schwarz wurde an jedem Abend ein Friedensgebet abgehalten und die Kirchenglocke zum Gedenken an die Opfer von Hiroshima und Nagasaki geläutet. Hier wurde nach Einschätzung von Teilnehmern intensiv gearbeitet. Der Heidelberger Carl-Christian von Braunmühl „leitete [...] die Diskussion zum Arbeitsmaterial des ‚Friedensseminars‘“.[35] Seine Argumentation war „mit konkreten Zahlen und Angaben über die Rüstungsausgaben in Ost und West sowie die gegenwärtig vorhandenen Raketen untermauert“.[36] Dies brachte von Braunmühl neben Überprüfungen und Speicherung seiner Daten durch den Staatssicherheitsdienst die Einschätzung desselben ein, „daß B. als Vertreter der WD-Friedensbewegung, Friedenskreise in der DDR anleitet und unterstützt“.[37]

Im Nachhinein erschien dem Staatssicherheitsdienst die Schwarzer Gruppe jedoch weniger gefährlich, was zu der abschließenden Feststellung führte: „Politisch-negative Aussagen wurden in der Diskussion nicht getroffen“.[38] Andere diesbezügliche Stasiakten vermitteln jedoch einen anderen Eindruck.

Am 6. und 8. August lud Meckel einzelne Teilnehmer aus den Gruppen zu zwei kleineren Treffen nach Vipperow ein. Der Teilnehmerliste zufolge war es seine Absicht, einem „harten Kern“ des Friedensseminars die Gelegenheit zu konstruktiver Arbeit und qualifiziertem Austausch zu geben.[39]

 

Das Abschlußwochenende begann am Freitag, dem 10. August, um 15 Uhr mit einer Begrüßung der Teilnehmer durch den Neustrelitzer Pfarrer Arnold Zarft. Schon vorher wurde eine Ausstellung in der Stadtkirche zum Problem. „Durch die Organisatoren der ‚Friedenstage‘ in Neustrelitz wurde in der Stadtkirche eine sogenannte ‚Anti-Kriegs-Ausstellung‘ zusammengestellt. (Bild- und Texttafeln zu den Leiden nach den Atombombenabwürfen sowie zu Fragen der Ökologie und des Umweltschutzes). Auf Veranlassung vom Landessuperintendenten Winkelmann wurden einige Bildtafeln dieser ‚Anti-Kriegs-Ausstellung‘ in der Stadtkirche Neustrelitz mit negativen politischen Aussagen vor Beginn der ‚Friedenstage‘“[40] entfernt.

Zwischen 19.30 und 20 Uhr wurden im Rahmen einer vom Neubrandenburger Propst Rabe geleiteten Meditationsveranstaltung in der Stadtkirche Neustrelitz zwei Filme gezeigt, von denen der Hiroshima-Film „Die Prophezeiung“ die Zuschauer nachhaltig beeindruckte. Diesen Film hatte das Friedensseminar offiziell vom Friedensrat der DDR ausgeliehen.

Den Abend beschloß ein von Ruth Misselwitz[41] geleitetes Abendgebet.

Der Sonnabend begann mit einem Referat von Pfarrer Rudi Pahnke[42] aus Berlin, das insbesondere die „Ohnmacht“ des Einzelnen im Rüstungswahn zum Gegenstand hatte. Danach wurden drei Gesprächsgruppen mit jeweils ca. dreißig Teilnehmern gebildet, „welche über das sogenannte Arbeitspapier und das Einführungsreferat bis gegen ca. 12.30 Uhr Diskussionen führten“.[43] Die Gruppe zum Thema „Frieden“ leitete Meckel, die zum Thema „Ökologie/Umweltschutz“ Hannes Knapp und Pastorin Wunderlich[44] und die Gruppe „Dialog - zwischenmenschliche Beziehungen“ Martin Gutzeit und Uwe Dähn.[45]

„In der Gruppe Frieden (Meckel) wurden u.a. Landesbischof STIER, Landessuperintendent Winkelmann, Pastor Pahnke und Zarft sowie die Person Lietz festgestellt.“[46] Meckel kritisierte das vorangegangene Referat Pahnkes insoweit, als es „nicht geeignet war, [...] konkrete Ergebnisse zu erreichen“.[47] Er wolle vielmehr mittels Eingaben des Vipperower Friedenskreises auf die „Bedrohung dieser Raketen“ hinweisen und „von der Militarisierung dieser Gegend“[48] nicht schweigen. Lietz unterstützte ihn und resümierte: „[...] wir diskutieren immer nur um des Kaisers Bart, es kommt bei den Friedensverhandlungen der Großen nichts raus. Wir müssen etwas tun.“[49]

Inwieweit die anderen Gruppenteilnehmer sich an dieser Diskussion beteiligten, ist nicht überliefert, außer: „Zu den Absichten des M. erfolgten durch die Anwesenden keine Gegenvorschläge. Winkelmann verließ auf dem Höhepunkt der ‚Diskussion‘ ohne Begründung den Raum. Inoffiziell wurde dies als taktisches Verhalten gewertet.“[50]

 

Auch eine am Nachmittag von Lietz verfaßte Eingabe an Honecker, die sich gegen die Stationierung atomarer Waffen in der DDR wandte und am selben Abend dreißig Unterschriften aufwies, fand Winkelmanns Mißfallen. Er verhinderte, „daß die Eingabe als kirchliche Initiative deklariert wurde“.[51]

Konstruktiver griff Bischof Stier in das Geschehen ein, indem er die vor allem von Eckart Hübener[52] und Heiko Lietz vor den Teilnehmern vertretene Forderung, „den Prozeß der Entideologisierung voranzubringen“,[53] in vollem Umfang unterstützte.

„In der Gesprächsgruppe Ökologie/Umweltschutz wurde in Diskussionen zu den Problemen

‚Hunger und Entwicklungsfragen‘

‚Mensch-Natur‘

‚Wissenschaft-Frieden‘ und

‚verhältnismäßig billig leben‘

im wesentlichen von einem ‚Mythos‘ der Technik gesprochen.“[54]

In der Gruppe Dialog - Zwischenmenschliche Beziehungen standen Fragen der Diskriminierung von Christen in der Schule, bei der Berufswahl, während des Studiums und während des Wehrdienstes im Zentrum der Diskussion. Neben der Forderung nach einem Ersterziehungsrecht der Eltern „wurden 4 Punkte durch den Gruppenleiter als ‚Schritte zum Frieden‘ aufgestellt.

Am Nachmittag fand in der Stadtkirche „eine Gesprächsrunde zum Friedensdienst der Christen in der DDR“[56] statt, in welche die Ergebnisse des Vormittages einflossen.

Neben der bereits erwähnten Eingabe von Lietz an den Vorsitzenden des Verteidigungsrates der DDR rief Ruth Misselwitz dazu auf, den 6. August alljährlich als Weltgedenktag für die Atombombenopfer zu begehen. „Dieser im Namen der Teilnehmer des ‚Friedensseminars Güstrow - Neustrelitz/DDR‘, 3.- 12. 8. 84 verfaßte Aufruf wurde durch 19 namentlich bekannte Personen (10 Niederländer, 3 BRD-Bürger, 6 DDR-Bürger) unterzeichnet.“[57]

Am Sonnabend war der Leiter des Evangelischen Jungmännerwerkes, Peter Müller,[58] mit einem Beratungsstand zu Wehrdienstfragen in der Neustrelitzer Stadtkirche präsent. Von 15.30 bis 18.30 Uhr fanden im Borwinheim aufeinanderfolgend jeweils einstündige Auftritte von Lutz Rathenow, Eckhard Maaß und Stephan Krawczyk statt. „Landessuperintendent Winkelmann, der an den Darbietungen von RATHENOW und MAAß zugegen war, verließ mit Beginn des Auftritts von KRAWCZYK die Veranstaltung.“[59]

Über die „Disziplin und den störungsfreien Ablauf“ bei den von Mitgliedern der Jungen Gemeinde Neustrelitz zwischen 19.30 und 21.30 Uhr aufgeführten Theaterstücken „Pierre et Luce“ von Romain Rolland und „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert äußerte sich Winkelmann hingegen lobend.[60]

Das Friedensseminar wurde durch einen vormittäglichen Gottesdienst am Sonntag abgeschlossen. Diesen hielt Pastor Zarft, der für seine eröffnenden „Worte des Dankes an die staatlichen Organe und an die DVP für die erwiesene Unterstützung“ von „Pastor M. und [...] in seiner Begleitung befindlichen Personen mit Gelächter“[61] bedacht wurde.

 

Zum Ende des „‚Friedensseminar‘ in Neustrelitz erfolgte insbesondere durch Pastor M. und Gutzeit die Erarbeitung eines sogenannten ‚Friedenstextes‘, welcher für Gespräche in Kirchen, Gruppen, Gemeinden und mit einzelnen Christen und Nichtchristen genutzt werden soll.“[62] Dieser Text wurde noch während des Friedensseminars von Hans Misselwitz,[63] Gutzeit und Meckel eigenverantwortlich beschlossen und verabschiedet. Wegen seines scharfen Tones in Bezug auf die Raketenstationierung in der DDR stieß er bei einem großen Teil der Friedensseminarteilnehmer auf Bedenken und Ablehnung. Auch an den Niederländer de Heyning und den Westdeutschen von Braunmühl wurde dieser Text weitergegeben. Sie sagten zu, „den Text in Medien ihrer Länder zu veröffentlichen [...]“.[64]

Dem Monatsbericht Februar 1985 zum OV „Wanderer“ zufolge wurde darüber und auch über das sonstige Geschehen während des Friedensseminars der Korrespondent des Süddeutschen Rundfunks Gerhard Rein täglich von Wolfgang Erler und Gudrun Dannies (später Gudrun Rein) telefonisch informiert.[65]

 

Das 1984er Friedensseminar hatte vielfältige Folgen. Sowohl die Diskussion der Eingabe an Honecker gegen die Raketenstationierung in der DDR, die von den in Neustrelitz versammelten Teilnehmern verabschiedet worden war, als auch die Diskussion des „Friedenstextes“, der nur geteilte Zustimmung fand, wurde fortgeführt. Schon im Vorfeld des Friedensseminars waren Teilnehmer durch einzelne Materialbeiträge Meckels und als eigenmächtig empfundene Einladungen verärgert, was zu Differenzen während des Friedensseminars und in der Vorbereitungsgruppe führte. Vor allem diese Entwicklungen ließen bei Meckel und anderen den Entschluß reifen, das 1985er Friedensseminar eigenständiger, das heißt unabhängiger von kirchlichen Vorgesetzten, vorzubereiten.

 

Nach dem Friedensseminar stellte der Staatssicherheitsdienst fest, daß „die Dokumentierung getroffener Aussagen, die Überprüfung von IM (Einsatz mobiler Technik) sowie die ständige Kontrolle der Bewegungsabläufe der Teilnehmer (Beobachtungsstützpunkte) gewährleistet“[66] wurde. Dafür bot das MfS mehr Menschen und Technik als in den Jahren zuvor auf. Erstmals erarbeitete eine spezielle Arbeitsgruppe des Staatssicherheitsdienstes in unmittelbarer Nähe zum Friedensseminar Informationen. Ihr nachhaltigster Erfolg sollte die geglückte Heranführung des IM „Maximilian“ Ibrahim Böhme[67] an Markus Meckel und in den Vipperower Friedenskreis während des Abschlußwochenendes werden.[68]

Da die von Roßberg vor dem Friedensseminar vorgeschlagenen und in geringem Umfang auch durchgeführten Gespräche staatlicher Stellen mit Meckel nicht zu den erwünschten Ergebnissen führten, ordnete er am 28. November 1984 an, „durch die Einleitung komplexer Maßnahmen (alles was möglich ist), dafür zu sorgen, daß M. als operativer Schwerpunkt liquidiert wird. Im Vordergrund sollten dabei Maßnahmen der Isolierung, Diskreditierung und Kompromittierung des M. selbst sowie der inneren Zersetzung des Friedenskreises stehen. [...] Zum Friedensseminar 1985 in Röbel vertrat Genosse Roßberg folgende Meinung:

Des weiteren plante der Staatssicherheitsdienst nun als neue Maßnahme gegen Friedensseminar und Friedenskreis die Einbindung Meckels „in gesamtgesellschaftliche Aufgaben auf örtlicher Ebene“ durch die Bürgermeister. Auch „Verkehrskontrollen bei Zusammenkünften des ‚Friedenskreises‘“[70] durch die DVP wurden in den Maßnahmenkatalog einbezogen. Außerdem wurde der Staatssekretär für Kirchenfragen von Geisler nach dem Abschlußwochenende über den Verlauf und die genannten Folgen des Friedensseminars informiert.

 

1.2.  Das Mobile Friedensseminar 1985

 

Das vergleichsweise am besten dokumentierte Mobile Friedensseminar ist das von 1985. Persönliche Überlieferungen und Erinnerungen, die Akten der staatlichen Organe, vor allem die des Staatssicherheitsdienstes, belegen dicht die Vorbereitung, Durchführung und Folgen des Friedensseminars.

Bedingt durch die unbefriedigende Vorbereitung und Durchführung des 1984er Seminares, beschlossen unter anderem Martin Gutzeit, Henning Utpatel und Markus Meckel, das nächste Friedensseminar in ausschließlicher Eigenregie vorzubereiten. Um sie bildete sich eine neue Vorbereitungsgruppe.[71] In mehreren Vorbereitungssitzungen besprachen sie Inhaltliches, Streckenverläufe sowie Organisatorisches bis hin zur Aufstellung von Toilettenhäuschen.

Ein besonderes Thema war die Einladung eines Marxisten zum Friedensseminar. Als marxistischer Gesprächspartner für das Abschlußwochenende war Jürgen Kuczynski bereits früh in den Blick genommen und kontaktiert worden. „Man will durch die Anwesenheit eines Marxisten verdeutlichen, daß alle gemeinsam für Frieden sind“,[72] deutete der Staatssicherheitsdienst dieses Vorhaben.

Selbstredend mißfiel dieser über Ibrahim Böhme scheinbar organisierte, tatsächlich aber verhinderte Kontakt zwischen Friedensbewegung und marxistischem Protagonisten dem MfS. „Das mit dem Ziel ihrer Aufwertung und staatlichen Anerkennung von den Organisatoren des ‚Friedensseminars‘ bereits vorbereitete Auftreten des Genossen Professor Jürgen Kuczynski konnte durch die Einflußnahme des MfS verhindert werden.“[73]

 

Trotz ihrer relativen Eigenständigkeit mußte auch diese Vorbereitungsgruppe sich innerkirchlich rückversichern. Durch den Rücktritt von Walther Bindemann vom Amt des Beauftragten für die Friedensarbeit in der Mecklenburgischen Landeskirche und damit vom Vorsitz der AGF zum 31. März 1985 fehlte diesbezüglich ein wichtiges Element, da mittlerweile kirchlicherseits die Friedensseminare in enger Verbindung zur AGF gesehen wurden. Im Bericht des OKR an die X. Synode der Evangelischen Landeskirche Mecklenburgs (ELLKM) für das Jahr 1984 hieß es dazu: „Einige von Friedensgruppen in Kontakt mit der AGF durchgeführte Veranstaltungen gehören inzwischen zum ‚traditionellen Bestand‘ der Friedensarbeit in Mecklenburg (Kessiner Seminar, Mobile Seminare).“[74]

In mehreren Gesprächen, welche die Landessuperintendenten, gelegentlich unter Hinzuziehung von Meckel oder Propst Wunderlich, mit dem Stellvertreter für Inneres des Rates des Kreises Röbel, Rohloff, führten, informierten sie diesen über Inhalt und Ablauf des Friedensseminars.[75] Dabei „wurde deutlich, daß die staatliche Disziplinierung kirchlicher Amtsträger anläßlich des Friedensseminars 1984 in Neustrelitz diesen Personenkreis veranlaßte, rechtzeitig über geplante Maßnahmen und deren Ausgestaltung zu informieren, um Konfliktsituationen mit staatlichen Organen zu vermeiden“.[76] Welche Amtsträger und Maßnahmen Rohloff damit meinte, bleibt aber offen.

 

Anscheinend war die kirchenpolitische Situation im Vorfeld des Friedensseminars 1985 so entspannt, daß staatlicherseits mehrfach Unterstützung zugesagt wurde. „Zusagen staatlicher Unterstützung in Verpflegungsfragen können und sollten vorgenommen werden“,[77] heißt es dazu lapidar beispielsweise im Protokoll eines Gespräches mit LSP Timm. Gründe für dieses vermeintliche Entgegenkommen sind nicht auszumachen, keineswegs aber Ausdruck einer innerhalb der staatlichen Organe abgestimmten neuen Strategie beim Umgang mit dem Mobilen Friedensseminar. Vielmehr ist anzunehmen, daß die staatlichen Stellen die oft angewandte Taktik verfolgten, sich mit partiellem „Entgegenkommen“ kirchliche Amtsträger gefügig zu machen.

Der Mitarbeiter für Kirchenfragen beim Rat des Bezirkes Neubrandenburg, Schiller, beschloß parallel dazu, die Mitarbeiter für Kirchenfragen der Räte der Kreise, die Bürgermeister der betroffenen Gemeinden und über diese auch „bewährte Kirchgemeinderatsmitglieder“[78] in die Observierung des Friedensseminars miteinzubeziehen.

Allen Gesprächen staatlicher Organe mit den Organisatoren des Friedensseminars und anderen Kirchenfunktionären wurde eine einheitliche Konzeption zugrunde gelegt. Auf der Basis des Gesprächs zwischen Honecker und dem Vorsitzenden des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, Bischof Schönherr, am 6. März 1978 und zwischen Honecker und dem Vorsitzenden der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen, Bischof Hempel, am 11. Februar 1985[79] sollte verhindert werden, „daß durch einzelne Kräfte unter kirchlichem Deckmantel, unter Ausnutzung kirchlicher Möglichkeiten gegen unsere Politik gerichtete Aktivitäten“ geplant und durchgeführt werden. „Das schadet beiden. In der Regel sind diese ‚Leute‘ uns zur Genüge bekannt. Solche ,Aktivitäten‘ sind zu verhindern durch die Kirchenverantwortlichen selbst. (Beispiel Neustrelitz 84)“.[80]

Nach dem Friedensseminar stellte der Staatssicherheitsdienst beschönigend fest, „daß sich Propst WUNDERLICH/Röbel täglich vor Ort als Konsultationspartner zur Erfüllung staatlicher Forderungen bereithielt und dadurch eine kontinuierliche Einflußnahme auf die Initiatoren und Organisatoren des ‚Friedensseminars‘ gewährleistet war“.[81] Diese Aufgabe hatte ihm zuvor LSP Timm aufgrund staatlicher Forderungen zugewiesen.[82]

Die versuchte Einflußnahme zielte nun auch auf Inhaltliches. „In diesem Zusammenhang wurde unsere Erwartungshaltung geäußert, daß ein Wort, eine Unterstützung des Vorschlages der SU bedacht werden sollte - ab 6.8.85 anläßlich des Atombombenabwurfs ein Moratorium abzuschließen, alle Versuche mit Kernwaffen einzustellen. Timm will dazu die Pastoren informieren und anregen.“[83] Diese aber verzichteten in den Diskussionen über die Sicherheitsproblematik weitgehend auf staatsloyale Stellungnahmen, was den staatlichen Stellen nicht entging.

In Erwartung von aus ihrer Sicht positiven Ergebnissen suchten die Räte der Kreise den direkten Kontakt zu weiteren kirchlichen Verantwortlichen. Deshalb „erfolgten durch die Stellvertreter der Vorsitzenden für Inneres der Räte der Kreise Neustrelitz und Neubrandenburg erste Gespräche mit Landessuperintendent TIMM/Malchin, Propst WEINREBE/Mirow, Pastor PIETSCH/Strasen und GUTZEIT/Schwarz, in denen die staatlichen Erwartungshaltungen ausgesprochen wurden.“[84] Weinrebe wollte Friedensseminare „innerhalb seiner Propstei nicht haben. Weinrebe sagte weiter, daß ihm grundsätzlich nichts an besonderen Friedensseminaren liege. Der Friedensbeitrag der Kirche müsse im innerkirchlichen Bereich, bei Gottesdiensten, im Bibelwort und anderen Andachten usw. liegen und bleiben. Weinrebe wird mich - falls es notwendig ist - zwischen dem 3.8. - 8.8. 85 informieren.“[85]

„Darüber hinaus wurden durch Gespräche der Bürgermeister von den Veranstaltungsorten mit den Pastoren und progressiven Gemeindekirchenratsmitgliedern [...] Einfluß auf die Durchsetzung der Gewährleistung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit genommen.“[86] Gleichzeitig informierte der Stellvertreter für Inneres des Rates des Bezirkes, Geisler, den Staatssekretär für Kirchenfragen Gysi über seinen Kenntnisstand in Bezug auf das Friedensseminar.

Gysi wurde im Vorfeld des Friedensseminars auch vom Staatssicherheitsdienst informiert und gesteuert. Da Meckels Aktentasche am 13. Februar 1985 nach einem Treffen (unter anderem mit von Braunmühl) in der Wohnung Marina Beyers[87] in Berlin-Pankow dem Staatssicherheitsdienst in die Hände fiel,[88] war dieser noch eingehender über das Friedensseminar und seine Reichweite informiert. In Gesprächen mit Bischof Stier und dem Sekretär des Bundes der Evangelischen Kirche in der DDR, Oberkirchenrat Ziegler, sollte Gysi diese über die ablehnende Haltung des Staates zu „Existenz und den Aktivitäten sogenannter ‚Friedenskreise‘“[89] in Kenntnis setzen.

 

Überdies organisierte der Staatssicherheitsdienst in Maßnahmeplänen die Überwachung des Friedensseminars. Er war, gewissermaßen auf zwei Ebenen, bemüht, alle staatlichen Organe anzuleiten und zu nutzen und zugleich die Zersetzungsmaßnahmen gegen die in Operativen Vorgängen bearbeiteten Organisatoren des Friedensseminars zu forcieren. Außerdem wurde mit dem IM Manfred Fielitz „eine kürzere Trefffrequenz festgelegt, um das Informationsaufkommen aktuell weiterzuleiten“.[90]

Die Pastorin der Evangelischen Auferstehungsgemeinde Berlin, Christa Sengespeick, die auch den ihrer Gemeinde angeschlossenen Friedenskreis leitete und in der Initiative „Frauen für den Frieden“ tätig war, wurde im Vorfeld des Friedensseminars von der Kreisdienststelle Friedrichshain des MfS intensiv bearbeitet. In einem Brief vom 15. Juli 1985 fragte diese bei der BV Neubrandenburg des MfS an:

„1. Welchen Beitrag leistet die S. zur Vorbereitung und Organisierung des Friedensseminars?

2. Mit welchen Initiativen tritt die S. in Durchführung des Seminars operativ in              Erscheinung? [...]

z e i t und Markus M e c k e l?“[91]

 

Dem Staatssicherheitsdienst entging auch nicht ein Brief von Elin Dalis-Davis aus Wales an Meckel, in dem sie darum bat, am Friedensseminar teilnehmen zu dürfen. Sie wurde daraufhin eingeladen und war Teilnehmerin des 1985er Friedensseminars. Ebenso wurden Nebensächlichkeiten, wie die Verpflegung der Mitarbeiter der Einsatzgruppe des Staatssicherheitsdienstes, vom MfS genau dokumentiert.

 

Diese hatten vor allem die Aufgabe, die Teilnehmer der sechs Gruppen des Friedensseminars (83 Personen waren dem Staatssicherheitsdienst bekannt[92]) operativ zu beobachten. Die Gruppenorte waren in diesem Jahr Schwarz, Rambow, Grüssow, Wredenhagen, Vipperow und Röbel.[93] Dort wurde unter dem generellen Thema „...und leben in Verantwortung“ zu verschiedenen Problemen gearbeitet.

 

Das Vorwort zur Arbeitsmappe von 1985 definierte den Begriff der Verantwortung: „Erwirb die Zuständigkeit für die Wirklichkeit, in der du lebst.“[94] Das Friedensseminar unter dieser Forderung wollte die Teilnehmer dazu bewegen, „Verantwortung zu übernehmen. Selbständig denken, als Laie in vielen Bereichen, wo die Entscheidungen gefällt werden, als einfache Bürger, ohne in der Hierarchie der herrschenden Partei, der Gesellschaft oder auch der Kirche aufgestiegen zu sein.“[95]

In anderen Beiträgen wurde verstärkt die Notwendigkeit umfassender Sachkenntnisse und die persönliche Verantwortung des Einzelnen betont. Die „Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung in der hiesigen Friedensarbeit verlangt sichere Rechtskenntnis. Unerfahrenheit, Unsicherheit und Leichtsinn haben in vielen Fällen das Engagement erschwert oder unmöglich gemacht. Vorträge zum Strafgesetzbuch, zur Strafprozeßordnung und der Untersuchungspraxis sind in einigen Friedenskreisen ein Anfang, aber noch völlig ungenügend. Der gesamte Bereich der Gesetzgebung und ihrer Praxis ist in der FB [Friedensbewegung - d. Autor] völlig unterbelichtet. Dazu gehört das Verhältnis von Verfassung und Gesetz, die fehlende Verfassungsgerichtsbarkeit (Verwaltungsgerichtsbarkeit ebenso) und die Möglichkeiten auf diesem Gebiet“,[96] schrieb Wolfgang Templin im März 1985 für die Arbeitsmappe. „Langfristig wird die Handlungsfähigkeit der FB dadurch wachsen, daß sie ihre Identität von ihren Z i e l e n her bestimmt und nicht an dem, was den Staats- oder Kirchenorganen an gutwilligem Akzeptieren jeweils abgerungen werden kann.“[97]

Eine derartige Zielbestimmung nahm auch die Arbeitsmappe vor, indem sie wieder nach der gesellschaftlichen Verantwortung des Einzelnen, nach Wissenschaft und Verantwortung, Ökologie- und Sicherheitsverantwortlichkeiten fragte. Weiterhin wurden die SDI-Problematik als auch Fragen des Welthandels hintergründig beschrieben. [98]

 

In der Grüssower Gruppe sollten „sich erfahrene Leute treffen [...]. Mit der Einbeziehung dieses abgelegenen Ortes in das ‚Friedensseminar‘ sollen mögliche und zu erwartende Kontrollmaßnahmen staatlicher Stellen erschwert werden.“[99] Unterstellt man den Veranstaltern diese vom Staatssicherheitsdienst so gesehene Intention, verfehlten sie diese, denn: „den komplizierten Bedingungen des Dorfes Rechnung tragend, wurde die operative Kontrolle der Zielpersonen in Grüssow und Vipperow durch die Schaffung von Stützpunkten (mobile Technik/Observation) realisiert.“[100] Der IM „Klaus Neiß“ berichtete ausführlich aus dieser Gruppe. Einem Vortrag über Nicaragua und seine Entwicklung am Montag folgten im Laufe der Woche ein Referat von Matthias Süß über die kirchliche Arbeitsgemeinschaft INCOTA (Information, Koordinierung, Tagungen zu Problemen der Zweidrittelwelt) und deren Arbeit in Angola und Äthiopien, Diskussionen über Probleme von Landwirtschaft und

 

Umwelt und ein Tagesausflug nach Rostock. Mario Schatta und Michael Heinisch[101] resümierten am Abschlußwochenende eine insgesamt gelungene Gruppenarbeit, die auch nicht von minutiöser Überwachung durch IM und den nahegelegenen Überwachungsstützpunkt des Staatssicherheitsdienstes verhindert werden konnte.

„Bei der Durchführung eines sogenannten Rollenspiels in der Röbeler Gruppe über die ,Christliche Friedenskonferenz‘ wurde durch die Pastorin MISSELWITZ/Berlin die CFK als historisch überlebt, als ‚roter Sockenverein‘ beschimpft und durch den Teilnehmer Thiedt/Neustrelitz als ‚Sprachrohr der FDJ und SED‘ verunglimpft.“[102]

Auch die Gruppe in Schwarz wurde durch IM ausgeforscht. Gutzeit hatte sich hier gegen Umweltthemen ausgesprochen und hielt an Sicherheitsthemen fest.[103] Die Gruppe gliederte ihren Tag nach einem Plan, der unter anderem ca. 3-4 Stunden Gruppenarbeit vorsah.[104] Diese bestand vor allem in Diskussionen und Rollenspielen, welche überwiegend Probleme von DDR-Bürgern zum Inhalt hatten. Gutzeit befreite die Teilnehmer von kirchlichen Rücksichtnahmen, indem er ihnen erklärte, „daß sie eine freie Gruppe sind und daß diese ganze Bindung an die Kirche eben nur eine äußerliche Sache ist“.[105]

 

Vom Freitag, dem 9. August bis zum Sonntag, dem 11. August 1985, fand das gemeinsame Wochenende in Vipperow statt. Dort weihten einige Teilnehmer in einer Gedenkveranstaltung am Sonnabend, dem 10. August, eine Gedenktafel an der Vipperower Kirche ein.[106] Vier Tage vorher, am 6. August, sagte der Stellvertreter für Inneres des Rates des Kreises Röbel, Rohloff, Propst Wunderlich zu, „beim VPKA zu erwirken, daß die Erlaubnis zur Durchführung dieser Veranstaltung auch nach Überschreitung der Beantragungsfrist erteilt wird“, nachdem Wunderlich ihm dafür zu sorgen versprach, „daß Pastor Meckel bis heute abend 18.00 Uhr bzw. am 7.8., 12.00 Uhr im VPKA vorsprechen wird.“[107]

Daß dieser die Veranstaltung nie anmeldete, versuchte der RdK Röbel am 17. September dem Rat des Bezirkes Neubrandenburg so zu erklären oder zu verschleiern: „Pastor Meckel war nicht bereit, entsprechend der Veranstaltungsordnung, diese Erlaubnis einzuholen. Es bedurfte mehrerer Gespräche mit dem Propst und Rücksprachen durch diesen, mit dem Pastor Meckel sowie der Abstimmung zwischen staatlichen Organen auf Kreis- und Bezirksebene, um die Einhaltung der sozialistischen Gesetzlichkeit zu gewährleisten.“[108]

Am Sonnabend hielt Dr. Helmut Domke[109] aus Potsdam einen Vortrag zum Thema „Christlicher Glaube und meine Verantwortung als Wissenschaftler“. „Dieser Vortrag fand bei einem großen Teil der Teilnehmer wegen seines hohen theoretischen Anspruchs wenig Zustimmung“.[110] Das Friedensseminar schloß am Sonntag mit einem Gottesdienst in der Vipperower Kirche.

Als Ergebnis seiner Beratungen am Wochenende verabschiedete das Friedensseminar unter anderem gleichlautende Schreiben an die Botschaften der UdSSR und der USA in der DDR zur Problematik der Weltraumrüstung. Der Heidelberger Seminarteilnehmer Rolf Schmachtenberg übernahm es, eine Kopie dieses Briefes an die Ständige Vertretung der DDR in der Bundesrepublik zu schicken. Diese leitete den Brief umgehend an den Staatssicherheitsdienst weiter.

Weiterhin wurden einige Papiere „erarbeitet, in denen Forderungen nach der Schaffung einer chemiewaffenfreien Zone, der Einführung eines ‚Zivilen Ersatzdienstes‘ (ZED) als Alternative zum Wehrdienst erhoben wurde [...]. Ein sogenanntes Abschlußpapier zu ‚Sicherheitsfragen‘ wurde aus der Sicht der Teilnehmer der Arbeitsgruppe unter Leitung von Pastor GUTZEIT/Schwarz verfaßt [...]“.[111]

 

 

Seinen auf das Friedensseminar bezogenen Beobachtungsaufwand bilanzierte der Staatssicherheitsdienst nach dem Seminar folgendermaßen: „Die operativen Aufgabenstellungen im Aktionszeitraum wurden durch eine Einsatzgruppe gelöst, der 9 Genossen der Abteilung XX, 2 Genossen der Kreisdienststelle Röbel sowie 2 Genossen der Abteilung 26 angehörten. Darüber hinaus waren 6 weitere Genossen der beteiligten Diensteinheiten im Einsatz. Mit zeitweiligen Aufgaben waren IM-führende Mitarbeiter der Hauptabteilung XX/4, BV Berlin, Abteilung XX, der Kreisdienststellen Röbel, Waren, Malchin und Neustrelitz im Einsatz. Zum Einsatz gelangten IM der Abteilung XX, BV Neubrandenburg (7), der Kreisdienststelle Röbel (9), der Kreisdiensstelle Waren (2), der Kreisdienststelle Neustrelitz (2) und der Kreisdienststelle Malchin (3) mit differenzierter Einsatzrichtung. Unterstützung erfolgte durch den Einsatz von 1 IM der Hauptabteilung XX/4 und von 3 IM der BV Berlin, Abteilung XX.“[112]

 

Zu Auswertungsgesprächen lud Geisler den Landessuperintendenten Timm und der Stellvertreter für Inneres des Rates des Kreises Neustrelitz, Zeppelin, Pfarrer Gutzeit.[113] Diese Gespräche folgten wieder einer Argumentationsgrundlage, die vom Rat des Bezirkes erstellt worden war und vor allem die Forderung nach einem Zivilen Ersatzdienst zurückwies sowie das erwähnte Papier zu Sicherheitsfragen und die Briefe an den Staatsratsvorsitzenden und den Bundeskanzler in Frage stellte. Es mißfiel auch, daß die „Ausländer“ eher als „Veranstalter“ denn als Gäste am Seminar teilnahmen und dieses des öfteren keinen religiösen Charakter trug.[114] Das Gespräch Gutzeits und seiner Frau mit dem Stellvertreter für Inneres des Rates des Kreises Neustrelitz, Zeppelin, dem Bürgermeister von Schwarz und dem Mitarbeiter für Kirchenfragen beim Rat des Kreises, Wondrack, (wahrscheinlich IM „Rolf“) entglitt Zeppelin aber erheblich, was in der Forderung nach Öffnung von Gutzeits Aktentasche gipfelte, in welcher Zeppelin ein Tonbandgerät vermutete.[115]

Der Bürgermeister von Vipperow schrieb an Meckel, daß „in Zukunft bei einer derartig hohen Anzahl von Personen auf Ihrem Grundstück, Schritte zur Einhaltung von Ordnung, Sicherheit, sowie des Brandschutzes eingeleitet und kontrolliert werden“ müßten und „nun staatlicherseits Überlegungen erforderlich sein, ob zukünftig bei ähnlichen Anlässen wiederum Unterstützung gegeben werden kann“.[116] Daß auch dieser Brief durch den Staatssicherheitsdienst angeregt war, belegt eine andere Stasiakte, in der es heißt: „Der Brief an den Pastor Meckel wurde bereits am 27. 9. 85 durch den Bürgermeister zum Versand gebracht.“[117]

Auch die in derselben Akte vermerkten Gespräche der jeweiligen Ortsbürgermeister und des Stellvertreters für Inneres des Rates des Kreises Röbel mit den Pastoren Oppermann/Grüssow und Wilpert/Wredenhagen waren vom Staatssicherheitsdienst gefordert worden.

 

In einer Sitzung am 30. August 1985 befaßten sich der Leiter der Arbeitsgruppe für Kirchenfragen des ZK der SED, Rudi Bellmann, sein Stellvertreter, Peter Krauser, und der Mitarbeiter der Bezirksleitung der SED in Neubrandenburg, W. Schortz, mit dem Mobilen Friedensseminar. „Die Aussprache diente einer gegenseitigen Verständigung über die sogenannten ‚Friedenskreise‘ und die in diesem Zusammenhang besonders durch Pastor Meckel, Vipperow, Kreis Röbel entwickelten Machenschaften.“[118] Nach Bewertung des Mobilen Friedensseminars und des Friedenskreises Vipperow durch die Anwesenden kamen diese zu dem Ergebnis: „[...] die leitenden kirchlichen Kräfte müssen soweit gebracht werden, daß sie selbst die Schnauze voll kriegen. (Dem Meckel Schwierigkeiten bereiten, wo es nur geht - aber immer vom Standpunkt der Einhaltung der sozialistischen Gesetzlichkeit.).“[119] Als weitere Maßnahme wurde in dieser Sitzung der Arbeitsgruppe Kirchenfragen des ZK beschlossen: „Mit den Vertretern dieser Bewegung aus den Betrieben ist an Ort und Stelle bei Festlegung einer klugen Gesprächsführung durch die Verantwortlichen des Betriebes eine gezielte Aussprache durchzuführen mit dem Ziel, sich für eine derartige Handlung nicht länger mißbrauchen zu lassen.“[120] Die Gespräche, die die betrieblichen Vorgesetzten unm