Widerstand in Mecklenburg-Vorpommern

Die Folgen der Selbstverbrennung von Oskar Brüsewitz in Mecklenburg und Vorpommern

18. August 1976

Brüsewitz Selbstverbrennung

 

Die Folgen der Selbstverbrennung von Oskar Brüsewitz in Mecklenburg und Vorpommern

Christoph Wunnicke

Am 18. August 1976 verbrannte sich der Pfarrer Oskar Brüsewitz[1] vor der Michaeliskirche in Zeitz (heute Sachsen-Anhalt). Zuvor stellte er zwei Plakate auf das Dach seines Autos, auf denen zu lesen war: „Funkspruch an alle – Funkspruch an alle – Wir klagen den Kommunismus an wegen Unterdrückung der Kirchen in Schulen an Kindern und Jugendlichen“ und „Funkspruch an alle – Funkspruch an alle – Die Kirche in der DDR klagt den Kommunismus an! Wegen Unterdrückung der Kirchen in Schulen an Kindern und Jugendlichen“.

Am 22. August 1976 verstarb Brüsewitz im Bezirkskrankenhaus Halle-Dölau.

Der Greifswalder Bischof Horst Gienke[2] schrieb rückblickend: „Waren die Jahre von 1975 bis 1985 nicht voller lebendiger Erfahrungen auf dem neuen Wege? Die Selbstverbrennung von Pfarrer Oskar Brüsewitz im Sommer 1976 ließ zwar alte Spannungen innerhalb der Kirchen und mit dem Staat kurzfristig wieder aufleben. Aber weitgehend wurde die politische Realität von der Gemeinde Jesu als von Gott vorgegebene Herausforderung zu Zeugnis und Dienst für die Menschen im Lande angenommen.“[3] Der mecklenburgische Bischof Heinrich Rathke[4] erinnert sich anders: „Einen außergewöhnlichen Brief schrieb ich im August 1976 an alle Mitarbeiter also auch die Pastoren, als sich am 18. August 1976 Pfarrer Oskar Brüsewitz aus der provinzsächsischen Kirche auf dem Marktplatz in Zeitz vor der Michaeliskirche aus Protest gegen die antichristliche Jugend-Politik der DDR verbrannt hatte und nach vier Tagen verstorben war. Dieser Vorfall hatte eine schlimme Hetzkampagne von Partei und Staat gegen Brüsewitz und gegen die Kirche zur Folge. Es war aber auch ein ‚Fanal‘, wie es damals hieß, an uns, die Kirche selbst. Hatten wir uns klar und offen genug für die Entrechteten eingesetzt, deutlich genug das ‚Evangelium‘ bezeugt? Und fühlten sich die, die das wagten, nicht oft von den ‚Offiziellen‘ in der Kirche alleingelassen.“[5]

Der Schweriner Landessuperintendent Friedrich-Franz Wellingerhof verweigerte aus Protest gegen den Ton des Staates gegenüber der Kirche nach der Selbstverbrennung gemeinsam mit 13 weiteren Pastoren gegenüber dem CDU-Kreisvorstand die Unterschrift unter einen politischen Appell. Die Schweriner Pastoren Günter Pilgrim, Jürgen Hebert und Joachim Boddin forderten außerdem mehr persönliche Freiheit und warfen dem Staat Eingriffe in die Glaubensfreiheit vor.[6]

Der spätere mecklenburgische Landesbischof Hermann Beste[7] erinnert sich aber auch an innerkirchliche Kontroversen:  „Der zweite Pastor für den Kirchlichen Pressedienst, Gerhard Thomas, war für ein Jahr beim Lutherischen Weltbund in Genf. Werner Schnoor hatte Urlaub. Ich habe ihn vertreten. Aus Genf vom Weltkirchenrat kam eine Stellungnahme zu dem Geschehen in Zeitz. Werner Schnoor gefiel der Tenor dieser Stellungnahme nicht. Doch wir einigten uns, wenn auch nach hitzigen Debatten.“[8]

Auch das Verhältnis zwischen CDU und Kirche wurde durch den Fall Brüsewitz weiter belastet. Christian Schwießelmann schreibt: „Im Bezirk Schwerin trat das ambivalente Verhältnis zwischen Kirche und CDU nach der Selbstverbrennung des Pastors Oskar Brüsewitz aus dem sächsischen Kreis Zeitz 1976 nochmals deutlich zutage. Der CDU-Bezirksvorsitzende Hans Koch hatte einen Monat nach dem über die Grenzen der DDR hinaus beachteten Suizid Briefe von Unionsfreunden an die Schweriner Kirchenleitung ‚organisiert‘, die zur Besonnenheit mahnten. Den Fall Brüsewitz nahm Koch zudem zum Anlass, um im Dezember 1976 mit dem Chefredakteur der mecklenburgischen Kirchenzeitung Werner Schnoor ins Gespräch zu kommen. Während Schnoor die Briefaktion kritisierte, zeigte sich Koch über die Teilnahme des Schweriner Oberkirchenrates an der Beerdigung von Brüsewitz verärgert. Der Kirchenrat Schnoor – als IM ‚Schütz‘ beim MfS registriert – wies noch einmal auf den Urgrund der Antipathie zwischen Geistlichkeit und DDR-Union hin: ‚Eine Reihe von Pfarrern mögen die CDU nicht, weil diese immer beansprucht, für die Christen politische Erklärungen abzugeben. Das müssen die Kirchenleitungen sich vorbehalten‘. Koch erwiderte, dass die CDU Sprachrohr ihrer Mitglieder sei und nicht das kirchenamtliche Vertretungsmonopol der Christen brechen wolle. Schnoor war sich der ‚unterschiedlichen Aufgaben von CDU und Kirche‘ bewusst, artikulierte aber die Befürchtungen seiner Amtsbrüder, ‚die CDU wolle die Kirche vereinnahmen‘.[9]

Auch in der Pommerschen Landeskirche regte sich Protest: Der Greifswalder Theologiestudent Matthias Storck[10] dichtete über Brüsewitz: „Er starb an uns, seinen Brüdern und Schwestern. Er starb an der Ausgewogenheit seiner Kirche und an meiner Feigheit."[11]

 

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/...

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/...

[3] Gienke, Horst: Dome, Dörfer, Dornenwege. Lebensbericht eines Altbischofs, Rostock 1996, S. 411.

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/...

[5] Rathke, Heinrich: „Wohin sollen wir gehen?“ Der Weg der Evangelischen Kirche in Mecklenburg im 20. Jahrhundert. Erinnerungen eines Pastors und Bischofs und die Kämpfe mit dem Staat, Kiel 2014, S. 110.

[6] Kasten, Bernd/Rost, Jens-Uwe: Schwerin. Geschichte der Stadt, Schwerin 2005, S. 323.

[7] https://de.wikipedia.org/wiki/...

[8] Landesbischof Hermann Beste, Schwerin: Vortrag zum 60jährigen Jubiläum der Kirchenzeitung am 20. April 2006. 60 Jahre Mecklenburgische Kirchenzeitung - eine „Stimme der Kirche“, S. 7.

[9] Schwießelmann, Christian: Zwischen Fremdsteuerung und Mitverantwortung:

Innenansichten der CDU im Norden der DDR, S. 145. http://www.kas.de/upload/ACDP/...

[10] https://de.wikipedia.org/wiki/...

[11] https://books.google.de/books?...