Widerstand in Mecklenburg-Vorpommern

Das Mobile Friedensseminar im Westen Mecklenburgs - Langversion / Teil I

Friedensseminare

Langversion

 

Christoph Wunnicke

 

Das Mobile Friedensseminar im Westen Mecklenburgs

 

 

Der Begriff „Mobiles Friedensseminar“ entstand für zwei mehrtägige Veranstaltungen, die jeweils in den Sommermonaten der Jahre 1981 bis 1989 im Bereich der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs (ELLKM) stattfanden. Bürgerrechtler, Friedens- und Umweltaktivisten aus vielen Gegenden der DDR wie auch sympathisierende Ausländer kamen hier zusammen. Maßgebliche Veranstalter beider Friedensseminare waren jeweils die evangelischen Theologen Heiko Lietz[1] und Markus Meckel,[2] wobei Meckels Seminar 1983 aus dem von Heiko Lietz hervorging. Im folgenden werden nur der Klarheit wegen die beiden Friedensseminare anhand dieser Namen unterschieden. Dies vernachlässigt den wesentlichen Umstand, daß viele andere Personen sich ähnlich stark um deren Fortgang verdient gemacht haben. Friedensseminare und Vernetzungsversuche, auch unter Teilnahme von Ausländern, gab es innerhalb der DDR-Oppositionsbewegung schon seit Anfang der 1970er Jahre. Schon im Mai 1973 wurde in Königswalde (Sachsen) das erste DDR-weite Friedensseminar durchgeführt. Zweimal im Jahr, jeweils im Mai und im Oktober, trafen sich anfangs überwiegend Wehrdienstverweigerer, später auch ökologisch Bewegte aus der gesamten DDR und auch aus dem Ausland zu Austausch und Diskussion. Unter ihnen war auch Heiko Lietz.

 

DIE MOBILEN FRIEDENSSEMINARE BIS 1989

 

Im Mai 1980 wurde Hans-Jörg Weigel, einer der Initiatoren des Königswalder Friedensseminars, wegen staatsfeindlicher Hetze verhaftet und drei Monate in Stasiuntersuchungshaft in Karl-Marx-Stadt gefangengehalten. Im selben Monat weilte der damalige Güstrower Studentenpfarrer Heiko Lietz auf einer Studentenpfarrerkonferenz in Barcelona, Spanien. Dort lernte er den niederländischen Studentenpfarrer Peter Spinatsch aus Hengelo kennen. Dieser vermittelte ihm den Kontakt zu drei Studenten der Technischen Hochschule Enschede, die sich am 3. Juli 1980 in einem Brief als Roland, Wim und Hans vorstellten und sich mit ihm für einen Besuch vom 4. August bis zum 8. August in Güstrow verabredeten.

Den weltpolitischen Hintergrund für die politischen Gespräche in dieser Zeit bildeten die Wiener Abrüstungsgespräche. Konkret wurde über die Ermöglichung eines Zivildienstes und die Möglichkeiten eigenen Handelns in diesem Zusammenhang in der DDR gesprochen. Niederländische Gruppen sollten diesen Prozeß durch die Vermittlung von Texten und die Ermöglichung von Austausch mit Wehrdienstverweigerern aus Holland unterstützen. Daneben wurden das persönliche Gespräch und die spirituelle Einkehr gepflegt, welche die  „meditative Atmosphäre“ des Seminars bis heute ausmachen und es von ähnlichen Veranstaltungen unterscheiden.

 

Noch auf der Wanderung wurde ein nächstes Treffen für den Sommer 1981 geplant und beschlossen. Heiko Lietz schrieb in sein Tagebuch: 10 Leute und Europa ist gerettet.[1] Der Briefkontakt zwischen Wanderungsteilnehmern aus der DDR und den Niederländern intensivierte sich und führte zu einer ersten Konzeption der Friedenswanderung am 18. Dezember 1980.

Als Zeitraum wählte Lietz den 31. Juli bis 8. August 1981 und plante eine Wanderung von 8-12 Personen mit einer Übernachtung in vier verschiedenen Gemeinden. Daneben legte er nach Absprachen als thematische Schwerpunkte „Feindbilder“ und „Identitätszwänge“ fest. Am Weg sollten Bibelarbeiten und Gemeindeabende durchgeführt werden. Im Juni 1981 stand die genaue Route der Wanderung fest. Heiko Lietz notierte in seinem Tagebuch: Güstrow-Lohmen-Krakow-Serrahn-Reinshagen-Dehmen.

 

Vermutlich durch Günter Engel, einen „engagierten Oppositionellen“ aber eigentlich IM des MfS, kannte auch der Staatssicherheitsdienst früh die Wanderroute. Am 18. August 1981 stellte die Kreisdienststelle Güstrow an die Bezirksverwaltung des MfS Schwerin ein Auftragsersuchen zur Beobachtung von Heiko Lietz und der ihn begleitenden Gruppe. Beobachtungsgrund: „Zersetzer plant mit einer Gruppe von ca. 15 Personen eine Wanderung durch den Kreis Güstrow, wobei in den Ortschaften Dehmen, Krakow und Badendiek übernachtet wird. Ca. 50 % der teilnehmenden Personen werden Staatsbürger aus den Niederlanden sein. Es muß damit gerechnet werden, daß durch Zersetzer während dieser Wanderung aktiv Handlungen unternommen werden, die eine Unterstützung der sogenannten Initiativgruppe „Sozialer Friedensdienst“ innerhalb der Evangelisch-Lutherischen Kirche darstellen und durch Sammlung von Unterschriften nach Einrichtung eines Sozialen Friedensdienstes zum Ausdruck kommen können.“[2]

Einen „Plan für die Durchführung der Beobachtung“ vom 20. August 1981 legte die Abteilung VIII/1a der BV des MfS Schwerin für den Beobachtungszeitraum den 25. - 27. August 1981 fest. In dieser Zeit sollte die Gruppe im Stadtgebiet von Krakow beobachtet werden. Im Seehotel wurde für diese Zeit ein Zimmer gemietet, welches von zwei Mitarbeitern des MfS mit Fotoapparat besetzt wurde. Ein zweiter Beobachtungsstützpunkt, der mit vier Mitarbeitern besetzt war, wurde in einem Gartenhaus eingerichtet.[3]

 

Am Sonnabend, dem 22. August, begann die Wanderung in Reinshagen. Am Sonntag, dem 23. August, nahm die Gruppe an einem Gottesdienst in Reinshagen teil und verbrachte auch den Abend dort. Als leitende Thematik der Wanderung wurden gewaltfreie Aktionen diskutiert. Gemeindeabende standen wie schon im Vorjahr unter dem Thema „Feinbilder hier und da“. Am 24. August wanderte die Gruppe nach Serrahn, von dort am 26. August nach Krakow am See und verließ dieses am 27. August in Richtung Badendiek. Am 29. August endete das Friedensseminar in Klueß. Zur Diskussion innerhalb der Gruppe zum Thema Sozialer Friedensdienst notierte Heiko Lietz in seinem Tagebuch: Es gebe noch eine „Angst“ davor, nichts normales zu tun.[4]

Angst war auch ein Gedanke im zum Abschluß der Wanderung von der Gruppe verfaßten Grundsatzpapier. „1. Wir haben erkannt und erfahren, daß Frieden mit anderen und mit uns erst durch Abbau von Ängsten möglich ist. 2. Äußerungen und Ursachen von Ängsten sind für uns die zunehmende Aufrüstung, Feindbilder, Abgrenzung und die Militarisierung des gesellschaftlichen Lebens. Statt Frieden zu fördern, verhindern sie ihn. [...] 8. Gerade die zunehmenden Spannungen zwischen den Gesellschaftssystemen können uns nicht davon abhalten, auf wirklichen Frieden zu hoffen und friedensfördernde Maßnahmen durchzuführen. Wir möchten auch andere dazu ermutigen, sich gemeinsam mit uns auf diesen Weg zu begeben.“[5]

Die Teilnehmer aus der DDR übernahmen es, dieses Papier unter anderem über die Theologische Studienabteilung des BEK, das Königswalder Friedensseminar und seine Publikation in der Mecklenburger Kirchenzeitung einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen.

Nach dem Seminar traten einem Tagebucheintrag von Heiko Lietz zu Folge in Zusammenhang mit der Friedenswanderung „Überlegungen in Richtung auf ein Friedensseminar (Modell Königswalde)“ in Erscheinung. Diesen Gedanken griffen ab 1983 Markus Meckel u.a. auf und etablierten neben diesem Seminar ein eigenes, seminaristisch ausgelegtes Friedensseminar im Osten Mecklenburgs.[6]

Am 25. Oktober 1981 berichtete die Mecklenburgische Kirchenzeitung in einem kurzen Artikel über das Mobile Friedensseminar und seinen Besuch bei einer Kinderrüstzeit in Klueß, einem Treff mit Familen in Reinshagen und einem Besuch bei Männern im Alkoholikerheim in Serrahn.[7]

 

Auf der Landessynode der Mecklenburgischen Landeskirche (ELLKM) im Herbst des Jahres 1981 wurde der Rostocker Pfarrer Walter Bindemann zum Beauftragten für die Friedensarbeit in der Mecklenburgischen Landeskirche berufen. In diesem Nebenamt oblag ihm, beraten durch die Arbeitsgruppe Frieden (AGF), die Koordinierung der Friedensarbeit der verschiedenen Basisgruppen und die Kontaktherstellung zwischen diesen und der Kirchenleitung.

Bischof Heinrich Rathke[8] formulierte in einem Brief an Bindemann vom 5. November 1981 genauer: „Weitergabe von Informationen in Sachen Friedensdienst, Vorbereitung von Rüstzeiten und Rüsttagen in der Landeskirche, Beratung bei der Seelsorge und Begleitung von Gemeindegliedern, die bei der Volksarmee oder bei den Bausoldaten Dienst tun.“[9]

Im Jahre 1981 wurde die Zusammensetzung der ebenfalls neugegründeten AGF noch allein durch den Oberkirchenrat (OKR)[10] bestimmt. Das führte dazu, daß dem OKR eher ungenehme Pfarrer und Studenten wie Heiko Lietz, Dieter Nath, Henning Utpatel oder Markus Meckel der AGF offiziell nicht angehörten, diese sehr wohl aber maßgeblich mitgestalteten. 

Nach anfänglichen Problemen von Mitgliedern des Oberkirchenrates mit dem Charakter und den Initiatoren des Friedensseminars gelang vor allem durch Vermittlung von Pfarrer Bindemann die Integration des Friedensseminars in die Verantwortung der ELLKM. Beide Friedensseminare wurden auf den regelmäßig stattfindenden Sitzungen der AGF geplant und innerkirchlich rückversichert.

 

Erste Planungen zum Friedensseminar 1982 nahm Heiko Lietz Ende November 1981 vor. Schon hier stand der Zeitraum 29. Juli  bis 10. August 1982 fest, nur der mögliche Zielort Vipperow war in seinem Tagebuch noch mit einem Fragezeichen versehen.  Für die Jahrestage der Atombombenabwürfe wollte Heiko Lietz einen Japaner bitten, als unmittelbar Betroffener an der Friedenswanderung teilzunehmen. Ebenso sollten Polen und Tschechen eingeladen werden, die aber alle nicht kamen.

Am 20. März 1982 schrieb Jan Jacobus Hutter aus den Niederlanden an Heiko Lietz, daß endlich Verabredungen gemacht werden müßten, da sich die holländische Teilnehmergruppe  schon einmal getroffen hätte und sie nun wissen wolle, ob als Thema des Seminars „Gewaltfreier Aufstand“ oder ähnliches gewählt werden könnte und ob ein Rollenspiel, wie sie es in Holland schon einmal erprobt hätten, durchgeführt werden könnte.

Am 29. Januar 1982 hatte Roland Simons an Heiko Lietz geschrieben, daß er demnächst beim IKV[11] ein Gespräch zu dessen neuen DDR-Plänen haben werde. Dieses Gespräch führten Roland Simons und Hans Hutter dann auch und berichteten Heiko Lietz am 27. Februar darüber. Der IKV war demzufolge der Meinung, daß das Mobile Friedensseminar in den Beziehungen zwischen den Friedensgruppen der Niederlande und der DDR ein neues Modell der Kooperation darstellen könnte. Von der nächsten DDR-Zusammenkunft des IKV am 20. März 1982 erwarteten Simons und Hutter demzufolge neue niederländische Teilnehmer für das Mobile Friedensseminar.

Lietz griff in seinem Tagebuch diesen Gedanken auf und verstand die IKV-Gruppen, die sich mit der DDR beschäftigten als Plattform. Die niederländischen und deutschen Gruppen sollten sich vierteljährlich treffen, um sich auszutauschen und zu reflektieren.[12] Versuche, eine solche Plattform zu bilden, verliefen zwischen dem IKV und dem Kessiner Friedenskreis jedoch ohne das erwünschte Ergebnis.

 

Nachdem bereits am 30. November und 6. Dezember 1981 eine Vorbereitungsgruppe in Kessin das Mobile Friedensseminar von 1982 vorbesprochen hatte[13], wurde am 25. Januar 1982 in einer Beratung der AGF in Rostock ein erster konkreter Ablaufplan beschlossen. Dieser Gruppe gehörten neben Meckel und Lietz noch Dieter Nath, Michael Körner und Henning Utpatel[14] an. Ab dem 28. Januar 1982 berichteten nun mehrere IM wiederholt darüber, daß unter anderem Meckel „einen Sternmarsch nach Vipperow plane und durchführen wolle.“[15]

Einer Stasiakte zufolge beschloß die Arbeitsgruppe Frieden (AGF), „in der Zeit vom 30. Juli bis 9. August 1982, eine Friedensmahnwache und einen Friedensmarsch durchzuführen. Als Inspirator derartiger Aktionen trat der ehemalige Pastor Heiko Lietz in Erscheinung. Nach den hier entwickelten Vorstellungen ist in Röbel vom 7. zum 8. August auf kircheneigenem Gelände die Friedensmahnwache für die Opfer des ersten Atombombenabwurfs und anschließend eine Friedenswanderung durch die Gemeinden des Kirchenkreises Stargard/Neustrelitz geplant. [...] Bedeutsam in diesem Zusammenhang ist die zum Zeitpunkt

nicht näher zu belegende Absicht, diese Aktivitäten unter Teilnahme von Ausländern [...] durchzuführen“.[16]

Erste genauere Hinweise über den Fortgang der Planungen des Friedensseminars erhielt der Staatssicherheitsdienst am 28. Juni 1982 vom IM Günter Engel. Er berichtete über die Zusammenkunft des Kessiner Friedenskreises vom 23. Juni und daß es dort Streit mit der ESG Rostock über die Bildung einer dritten Gruppe neben der Vipperower und der um Lietz beim Friedensseminar gegeben hätte. Auch durch die kontinuierliche Zuarbeit des IM Günther Engel sah sich die Kreisdienststelle Güstrow des MfS am 3. August 1982 veranlaßt, analog zum Vorjahr ein Auftragsersuchen zur Beobachtung an die Bezirksverwaltung des MfS Schwerin zu stellen. „Ziel der Beobachtung ist es, den Teilnehmerkreis festzustellen und bildlich festzuhalten.“[17]

Da als territorialer Schwerpunkt für die Beobachtung der Ort Hohen-Sprenz festgelegt wurden, richtete dort die Abteilung VIII/1a der Bezirksverwaltung des MfS in Schwerin in einem Privathaus unter der Legende, kriminalpolizeiliche Beobachtungen durchführen zu müssen, einen Beobachtungsstützpunkt ein.

 

Bald darauf begannen auch konkrete Vorbereitungen innerhalb der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs. Der Leiter der AGF, Dr. Walther Bindemann, war bemüht, innerkirchliche Akzeptanz für diese Friedenswanderung herzustellen. In Briefen an den Landessuperintendenten Timm in Malchin und wahrscheinlich auch an den Oberkirchenrat  in Schwerin versuchte er, diese in Mitverantwortung zu nehmen oder gar aktiv zu beteiligen.

Bindemann unterrichtete noch am 10. März 1982 den Landessuperintendenten Timm lediglich darüber, daß eine Mahnwache in Röbel stattfinden solle. In seinem Brief vom 22. März 1982 bezog er dann eine die Mahnwache in Röbel abschließende Friedenswanderung mit ein. Weiterhin verwies Bindemann in diesem Brief auf Pastor Dieter Nath in Kessin, mit welchem LSI Timm Terminabsprachen für Vorlaufgespräche treffen sollte.

Der Kessiner Pastor Dieter Nath stand neben Lietz dem Kessiner Friedenskreis[18] vor. In dieser Funktion erhielt er einen am 12. April 1982 vom Schweriner Oberkirchenrat verfaßten Brief. In diesem begrüßte der Oberkirchenrat die Arbeit des Kessiner Friedenskreises in kirchlicher Friedensverantwortung, riet aber gleichzeitig von der geplanten Friedenswanderung ab. Besorgt um ein gutes Staat-Kirche-Verhältnis, argumentierte der Oberkirchenrat vorwiegend mit rechtlichen Bedenken. Die Sorge angesichts der möglichen Teilnahme von Jugendlichen unter 18 Jahren sowie von „Mitläufern“ und möglichen Ordnungs- und Strafmaßnahmen der Polizei mündeten in die Bitte, „von einer Friedenswanderung in Verantwortung des Kessiner Arbeitskreises abzusehen und auch keine Aufträge zu ihrer Durchführung zu erteilen.“[19]

Nach einem Gespräch mit Meckel, Nath und Körner am 21. April 1982 änderte der Oberkirchenrat aber seine Meinung. In einem Schreiben vom 22. April 1982 an den zuständigen Landessuperintendenten teilte Oberkirchenrat Müller diesem mit, daß eine Friedenswanderung nicht durchgeführt wird, dafür aber ein „Gemeindeseminar zum Thema des christlichen Friedenszeugnisses in Vipperow über mehrere Tage.“[20] In dieses Seminar sollten Kirchengemeinden der Umgebung einbezogen werden, zu denen zu wandern den Teilnehmern ausdrücklich freigestellt wurde. Die einzige Einschränkung lautete, „daß alles vermieden werden muß, was den Anschein einer Demonstration oder ähnlichen Veranstaltung erwecken könnte.“[21]

 

Diese Entwicklungen blieben den staatlichen Organen nicht verborgen. Der Stellvertreter für Inneres des Vorsitzenden des Rates des Kreises (RdK) Röbel lud Meckel am 7. April 1982 zu einem Gespräch. In diesem erklärte Meckel, daß eine Friedenswanderung von ca. 40 Personen vorgesehen sei. „Es werden einzelne Gruppen eine solche Friedenswanderung durchführen, ohne daß Transparente oder andere Symbole mitgeführt werden.“[22]

Im Bericht zur kirchenpolitischen Lage des Stellvertreters für Inneres des Rates des Kreises Röbel an den Stellvertreter für Inneres des Rates des Bezirkes Neubrandenburg, Geisler, vom 14. Mai 1982 fand das Friedensseminar aber noch keine Erwähnung. Vielmehr hieß es dort: „In den durchgeführten Einzelgesprächen innerhalb der ersten vier Monate 1982 wurde von den Pastoren zu den Fragen der Innenpolitik und des Friedens folgender Standpunkt geäußert: Die Friedensbemühungen der DDR werden anerkannt.“[23]

 

Das Friedensseminar fand vom 1. bis zum 8. August in drei Gruppen statt. Die Gruppe um Lietz wanderte über Hohen-Sprenz nach Kessin, während der Weg der beiden Gruppen um Meckel unklar ist. Näheres zu den Umständen und Gesprächen ist nicht mehr bekannt.

 

Das Abschlußwochenende in Kessin stand im Zeichen eines von den niederländischen Teilnehmern geleiteten Rollenspieles. Die Brüder Jacobus und  Wilhelm Hutter sowie Roland Simons ließen die Versammelten am Sonnabend, dem 6. August 1982, verschiedene Rollen (z. B. die der Staatssicherheitsorgane, der Presse oder einer Wohngemeinschaft) einnehmen, um sie dann in inszenierten Situationen und Aktionen deren Erfahrungen nachvollziehen oder Handlungspotentiale und Restriktionen erkennen zu lassen.[24] Nach Abschluß des Rollenspiels und dem Abendbrot fand eine Mahnwache für die Opfer des Atombombenabwurfs auf Hiroshima statt. Die Mahnwache hatte den Rahmen eines leicht abgewandelten Gottesdienstes, dessen „szenische Mitmachelemente“ darin gipfelten, daß, nachdem Michael (Theo) Körner durch ein Dissonanzenspiel auf seiner Geige einen Atombombenabwurf symbolisiert hatte, sich die anderen Teilnehmer auf den Boden fallen ließen und zehn Minuten reglos verharrten. Ein Gottesdienst in Kessin schloß am Sonntag das Friedensseminar ab.

 In der Auswertung des Mobilen Friedensseminars in Kessin am 18.10.1982  wurde der fehlende Gemeindekontakt in den Übernachtungsorten als auch den am Weg liegenden Gemeinden als Mangel gerügt. Daneben kam zur Sprache, daß einigen Teilnehmern die Wegstrecken zu lang gewesen seien.

 

Schon Ende November 1982 stand Schwerin als Zielort des Mobilen Friedensseminars 1983 fest. Bereits im Dezember 1982 wurde eine Mahnwache in der Thomaskapelle in Schwerin für das Abschlußwochenende geplant. Im März 1983 war die Wanderroute über Groß-Trebbow und Cramon von einigen Teilnehmern besprochen worden. Im April stand diese Route fest, und für Versorgung und Unterbringung wurden die ersten Absprachen getroffen. Es stand fest, daß der 30. und 31.Juli in Mühlen-Eichsen verbracht wird, vom 1. bis  4. August in Cramo(h)n Station gemacht wird, am 4. August nach Groß-Trebbow gewandert wird und am 5. August nach Schwerin, wo das Wochenende bis zum 7. August gestaltet werden sollte.

Als Themen der Wanderung sollten eine Bilanz der Friedensbewegung der DDR und ihre Perspektiven diskutiert werden. Weiterhin sollte das Basispapier von 1981 besprochen und aktualisiert werden. Am sollte 6. August sollte zum Gedenken an die Opfer der Atombombenabwürfe gefastet werden.

 

Den Verlauf der Wanderung schilderte Landessuperintendent de Boor am 29. Juli 1983 in einem Brief dem Oberkirchenrat Müller. Er betonte weiterhin, daß das Dokument für den Frieden von der Bundessynode Arbeitsmittel des Friedensseminars sein wird und die Räte der Kreise Gadebusch, Schwerin Stadt und Land auf deren Bitten hin am 28. Juli über das Friedensseminar unterrichtet wurden. Mit Heiko Lietz hatte der Verfasser den Brief des Oberkirchenrates Müller vom 1982 durchgesprochen und ihn darauf verpflichtet.[25] (Dokument 2)

Nachdem J. J. Hutter bereits am 12. Mai 1983 trotz Berechtigungsscheins nicht in die DDR einreisen durfte, wurde er ebenfalls am 30. Juli 1983 an der Grenze abgewiesen. Schon zuvor war gegen Hutter eine Einreisesperre verfügt worden, die auch dem niederländischen Außenministerium überreicht wurde.[26] Schwerwiegendster Grund für die bis 1986 währende Einreisesperre war vor allem sein Engagement  im Mobilen Friedensseminar.

 

In seinem Bericht über den Kessiner Friedenskreis vom 22. November 1982 beschrieb der IM Günther Engel detailliert den Vorbereitungsstand zur Friedenswanderung 1983. Noch immer wurde zusammen mit Meckels Gruppe in Vipperow geplant (dieses Friedensseminar wurde in diesem Jahr aber erstmals vollkommen eigenständig veranstaltet) und fest mit holländischen Teilnehmern gerechnet. Zur Zusammenkunft des Kessiner Friedenskreises am 10. Januar 1983 wurde weiterhin festgelegt, daß die Diskrepanzen zwischen der ESG Rostock und den Organisatoren der Friedenswanderung endgültig beigelegt sind und die Dokumente der „Moskauer Friedenskonferenz 1982“  Thema des Seminars werden sollen. Auch auf der Sitzung des Friedenskreises Kessin am 14. März berichtete Lietz über den Stand seiner Aktivitäten zur Vorbereitung der Wanderung.

Innerkirchliche Probleme aber blieben. „Am 7. 3. fand in Schwerin bei Pastor de Boor eine Beratung statt, an der Constanze Schröder,  I. Rödl, Vikar Hübener[27] die Interessen der Organisatoren [des Friedensseminars – d. Autor] vertraten. De Boor habe sich das alles angehört, sei aber nicht besonders begeistert gewesen, insbesondere ist er gegen die Teilnahme von Ausländern. Der Sachstand ist jetzt so, daß er zwar informiert ist, die ganze Angelegenheit jedoch nicht für gut einschätzt und somit auch nichts dafür tut. Da jedoch eine schriftliche Erklärung des OKR Müller praktisch als Zusage bei den Organisatoren vorliegt, sind dem de Boor in seiner ablehnenden Haltung die Hände gebunden. Auch vom KGR Mühlen-Eichsen liegt eine Zusage,  praktisch als Genehmigung für die Aktivitäten vor, die sich auf eine Zusage des OKR beruft.“[28]

 

Am 1. und 2. August, den ersten Tagen des Friedensseminars in Mühlen-Eichsen, sprach das Friedensseminar über das Basispapier von 1981. Am 2. August wurden die Anregungen eines Fastenbriefes aus Frankreich aufgenommen, vom 6. August an solange zu fasten, bis sichtbare und deutliche Schritte im Rahmen der Abrüstung zwischen Ost und West stattgefunden haben. Am selben Abend gab es in der Scheune des  Pfarrhauses in Cramo(h)n ein Theaterspiel nach der Geschichte des Propheten Jonas. Am darauffolgenden Tag referierte Heiko Lietz einen Vortrag von Joachim Garstecki[29] vom 13. Mai 1983 in Sömmerda, welches die Frage aufwarf: Dürfen Christen sich an der Verteidigung mit atomaren Waffen beteiligen und Waffengewalt als Mittel der Friedenssicherung und zum Schutz des Nächsten akzeptieren? Am 4. August wanderte die Gruppe nach Groß-Trebbow. Die Fastenthematik gewann an Relevanz, so daß vom Abend des 5. August bis zum 7. August gegen 10 Uhr die Mehrzahl der Seminarteilnehmer fastete. Am 6. August traf sich die Gruppe zu einem Gespräch mit Oberkirchenrat Müller in Schwerin. Das Seminar beschloß ein Gottesdienst am 7. August in Schwerin.

Auf  der AGF-Sitzung am 6. September 1983 gingen die Anwesenden ausführlich auf die Fastenaktion des Mobilen Friedensseminares ein und stellten fest, daß die Fastenaktion kein Hungerstreik ist und damit nicht kriminalisiert werden kann.[30] Diese Befürchtungen waren im Friedensseminar und in der AGF verschiedentlich aufgetreten.

 

Noch Ende März 1984 plante Heiko Lietz mehrere verschiedene Routen der Friedenswanderung, die aber alle in Neustrelitz endeten, wo das mittlerweile vollständig autonome Seminar um Markus Meckel am Wochenende um den 12. August seinen Abschluß fand. Dies löste Befürchtungen bei staatlichen Stellen aus. (Dokument 16)

Erstmals taucht  im März 1984, laut Tagebucheintrag von Heiko Lietz, der Gedanke auf, den 6. August alljährlich zum „Choose Life Day“ auszurufen.

Nachdem J. J. Hutter sowohl am 20. als auch am 21. Februar 1984 die Einreise nach Ostberlin verweigert wurde, zeichnete sich ab, daß auch in diesem Jahr mit Einreisesperren seitens des Ministeriums für Staatssicherheit zu rechnen war. Trotzdem wurde der Kontakt in die Niederlande intensiviert, nachdem einerseits am 24. Februar 1984 eine Delegation des BEK und des Rates der Kirchen der Niederlande Konsultationen zu Fragen der Friedensverantwortung abhielten und in deren Ergebnis am 18. April Garstecki über die Theologische Studienabteilung an die ostdeutschen Kirchengemeinden den Wunsch der niederländischen Kirchen herantrug, ihren Kampf gegen NATO-Cruise Missiles, die im Rahmen der NATO-Nachrüstung in den Niederlanden aufgestellt werden sollten, mittels ökumenischer Solidarität zu unterstützen.

Gipfel des Deutsch-Niederländischen Zueinanderfindens war die Hochzeit zwischen Sigrid Burchard aus der DDR und Jakobus Hutter im selben Jahr. Im Anschluß an die Hochzeit und Wohnsitznahme des Ehepaares in den Niederlanden wurde gegen Sigrid Hutter eine Einreisesperre eingeleitet: „Da sie aktives Mitglied der pseudopazifistischen Friedensbewegung ist und über umfangreichen Verbindungen zu Personen aus diesem Kreis in Berlin, Rostock, Kessin, Schwerin und Neustrelitz“[31] verfügt.

Diese freundlichen Fügungen änderten aber nichts daran, daß die Einreisesperre gegen J. J. Hutter weiter aufrechterhalten wurde und er am 1. August 1984 wiederum  am Grenzübergang Zinnwald zurückgewiesen wurde.

 

Auf der AGF-Sitzung am 6. März 1984 wurde die Vorbereitung der Mobilen Friedensseminare abgestimmt. Außerdem sollten die Landessuperintendenten stärkeren Einfluß auf die Ermöglichung der Friedensseminare nehmen. Sie sollten vor allem mehr auf die Räte der Bezirke und Räte der Kreise in Vorbereitung der Seminare einwirken. Vielleicht auch infolgedessen vermerkte OKR Schwerin nach einem Gespräch mit dem Mitarbeiter für Kirchenfragen beim  Rates des Bezirkes Schwerin, Franze, am 20. Juni 1984 „daß LSI Sagert wegen eines Seminars Anfang August mit dem Rat des Kreises Kontakt habe.“[32]

 

Das Mobile Friedensseminar begann am 4. August 1984. Pastor Taetow begrüßte die Teilnehmer in Güstrow, woran sich ein Referat zum Thema Sicherheitspartnerschaft von Heiko Lietz anschloß. Am Sonntag, dem 5. August, nahm die Gruppe an einem Gottesdienst in der Pfarrkirche teil. In derselben Kirche stellte Wolfgang Jahnisch einige seiner Graphiken aus. Noch am Sonntag fand in der Pfarrkirche unter Beteiligung von Güstrower Gemeindemitgliedern ein offener Gemeindeabend statt, an dem die Holländer u. a. über ihre Friedensarbeit berichteten. Westberliner Teilnehmer berichteten über die Arbeit in den Friedensgruppen, die sich teilweise der Bewegung „Ja zum Leben“ angeschlossen hatten. Am 6. August wanderte die Gruppe nach Parum, wo sie auf dem Friedhof Arbeiten durchführte. Am selben Abend fand eine Gedenkveranstaltung aus Anlaß des Atombombenabwurfs auf Hiroshima statt. 120 Personen sahen den Film „Die verlorene Generation“. Anschließend beteiligten sich noch 25 Personen an einem von Pastor Taetow geleiteten Gespräch. Noch im Verlauf des Augusts brachte Lietz seine schon lange gehegte Idee, den 6. August alljährlich als „Choose Life Day“ zu begehen, in die Gruppe ein.

 

Das gemeinsam mit dem Friedensseminar um Markus Meckel veranstaltete Abschlußwochenende begann am Freitag, dem 10. August, um 15 Uhr mit einer Begrüßung der Teilnehmer durch den Neustrelitzer Pfarrer Zarft. Schon vorher wurde eine Ausstellung in der Stadtkirche zum Problem. „Durch die Organisatoren der ‚Friedenstage‘ in Neustrelitz wurde in der Stadtkirche eine sogenannte ‚Anti-Kriegs-Ausstellung‘ zusammengestellt. (Bild- und Texttafeln zu den Leiden nach den Atombombenabwürfen sowie zu Fragen der Ökologie und des Umweltschutzes). Auf Veranlassung vom Landessuperintendenten Winkelmann wurden einige Bildtafeln dieser ‚Anti-Kriegs-Ausstellung‘ in der Stadtkirche Neustrelitz mit negativen politischen Aussagen vor Beginn der ‚Friedenstage‘“[33] entfernt.

Zwischen 19.30 und 20 Uhr wurden im Rahmen einer vom Neubrandenburger Propst Rabe geleiteten Meditationsveranstaltung in der Stadtkirche Neustrelitz zwei Filme gezeigt, von denen der Hiroshima-Film „Die Prophezeiung“ die Zuschauer nachhaltig beeindruckte. Diesen Film hatte das Friedensseminar offiziell vom Friedensrat der DDR ausgeliehen. Den Abend beschloß ein von Ruth Misselwitz[34] geleitetes Abendgebet.

Der Sonnabend begann mit einem Referat von Pfarrer Rudi Pahnke[35] aus Berlin, das insbesondere die „Ohnmacht“ des Einzelnen im Rüstungswahn zum Gegenstand hatte. Danach wurden drei Gesprächsgruppen mit jeweils ca. 30 Teilnehmern gebildet, „welche über das sogenannte Arbeitspapier und das Einführungsreferat bis ca. 12.30 Uhr Diskussionen führten“.[36] Die Gruppe zum Thema „Frieden“ leitete Meckel, die zum Thema „Ökologie/Umweltschutz“ Hannes Knapp und Pastorin Wunderlich[37] und die Gruppe „Dialog - zwischenmenschliche Beziehungen“ Martin Gutzeit und Uwe Dähn.[38]

„In der Gruppe Frieden (Meckel) wurden u. a. Landesbischof STIER, Landessuperintendent Winkelmann, Pastor Pahnke und Zarft sowie die Person Lietz festgestellt.“[39] Meckel kritisierte das vorangegangene Referat Pahnkes insoweit, als es „nicht geeignet war, [...] konkrete Ergebnisse zu erreichen“.[40] Er wolle vielmehr mittels Eingaben des Vipperower Friedenskreises auf die „Bedrohung dieser Raketen“ hinweisen und „von der Militarisierung dieser Gegend“[41] nicht schweigen. Lietz unterstützte ihn und resümierte: „[...] wir diskutieren immer nur um des Kaisers Bart, es kommt bei den Friedensverhandlungen der Großen nichts raus. Wir müssen etwas tun.“[42]

Auch eine am Nachmittag von Lietz verfaßte Eingabe an Honecker, die sich gegen die Stationierung atomarer Waffen in der DDR wandte und am selben Abend dreißig Unterschriften aufwies, fand Winkelmanns Mißfallen. Er verhinderte, „daß die Eingabe als kirchliche Initiative deklariert wurde“.[43]

Konstruktiver griff Bischof Stier in das Geschehen ein, indem er die vor allem von Eckart Hübener und Heiko Lietz vor den Teilnehmern vertretene Forderung, „den Prozeß der Entideologisierung voranzubringen“,[44] in vollem Umfang unterstützte.

„In der Gesprächsgruppe Ökologie/Umweltschutz wurde in Diskussionen zu den Problemen

‚Hunger und Entwicklungsfragen‘

‚Mensch-Natur‘

‚Wissenschaft-Frieden‘ und

‚verhältnismäßig billig leben‘

im wesentlichen von einem ‚Mythos‘ der Technik gesprochen.“[45]

In der Gruppe Dialog - Zwischenmenschliche Beziehungen standen Fragen der Diskriminierung von Christen in der Schule, bei der Berufswahl, während des Studiums und während des Wehrdienstes im Zentrum der Diskussion. Neben der Forderung nach einem Ersterziehungsrecht der Eltern „wurden 4 Punkte durch den Gruppenleiter als ‚Schritte zum Frieden‘ aufgestellt.

-          Abschaffung des Wehrdienstes

-          Aufklärung zu Fragen des Wehrdienstes

-          Persönliche Friedensverträge

-          Schaffung eines Zivildienstes (ohne Waffen und Uniform).“[46]

Am Nachmittag fand in der Stadtkirche „eine Gesprächsrunde zum Friedensdienst der Christen in der DDR“[47] statt, in welche die Ergebnisse des Vormittages einflossen.

Neben der bereits erwähnten Eingabe von Lietz an den Vorsitzenden des Verteidigungsrates der DDR rief Ruth Misselwitz dazu auf, den 6. August alljährlich als Weltgedenktag für die Atombombenopfer zu begehen. „Dieser im Namen der Teilnehmer des ‚Friedensseminars Güstrow - Neustrelitz/DDR‘, 3.-12.8.84 verfaßte Aufruf wurde durch 19 namentlich bekannte Personen (10 Niederländer, 3 BRD-Bürger, 6 DDR-Bürger) unterzeichnet.“[48]

Am Sonnabend war der Leiter des Evangelischen Jungmännerwerkes, Peter Müller[49], mit einem Beratungsstand zu Wehrdienstfragen in der Neustrelitzer Stadtkirche präsent. Von 15.30 bis 18.30 Uhr fanden im Borwinheim aufeinanderfolgend jeweils einstündige Auftritte von Lutz Rathenow, Eckhard Maaß und Stephan Krawczyk statt. 

Das Friedensseminar wurde durch einen vormittäglichen Gottesdienst am Sonntag abgeschlossen. Diesen hielt Pastor Zarft, der für seine eröffnenden „Worte des Dankes an die staatlichen Organe und an die DVP für die erwiesene Unterstützung“ von „Pastor M. und [...] in seiner Begleitung befindlichen Personen mit Gelächter“[50] bedacht wurde.

 

Am 24. Oktober 1984 richtete die Kreisdienststelle Güstrow ein Ersuchen an die Bezirksverwaltung des MfS Schwerin mit der Bitte, Heiko Lietz bei einer Reise nach Prag vom 26. Oktober 1984 sowohl in Deutschland als auch in Prag überwachen zu lassen, um dort „die Dokumentierung der Aktivitäten, der Anlaufpunkte und Kontakte des L. vom Verlassen der Wohnung am 26. 10. 1984 bis Besteigen des Zuges nach Prag in Berlin-Lichtenberg, wenn möglich Feststellung des Namens und der Wohnanschrift der weiblichen Person in Berlin, Feststellung mitgeführter Materialien und Gegenstände, Feststellung der Waggonnummer, des Abteils und wenn möglich der Platznummer des L. und der weiblichen Person“ feststellen zu lassen.[51] An der Grenze wurde Lietz unter dem Kennwort „Blume“ an die Sicherheitsorgane der CSSR übergeben, die feststellen sollten, mit wem sich Lietz in Prag trifft. Um dies zu erreichen, wurde dem tschechoslowakischen Geheimdienst „mit dem Flugzeug des MfS am 25. 10. 1984, Landung in Prag um 8.35 Uhr, zur Unterstützung der erbetenen Maßnahmen“ ein Foto des Lietz übersandt. (Dokument 3) Die tschechoslowakischen Tschekisten berichteten daraufhin am 5. März 1985 streng geheim, daß sich Lietz mit den niederländischen Brüdern Hutter in Prag getroffen hatte. Dieser gesteigerte Aufwand der Sicherheitsorgane, die durchgehend bemüht waren, Lietz Kontakte zu westlichen Geheimdiensten nachzuweisen, könnte auch durch die 130 DDR-Bürger bedingt sein, die im Oktober 1984 Zuflucht in der Botschaft der Bundesrepublik in Prag gesucht hatten.

 

Wie in jedem vorhergehenden Jahr begannen die Vorbereitungen für die Sommerwanderung 1985 schon im vorangehenden Winter. Neben Vorabsprachen in der AGF und organisatorischen Besprechungen noch im Friedenskreis Kessin, liefen wieder nahezu sämtliche Fäden bei Heiko Lietz zusammen. Notierte er am 15. Februar noch Technisches zum Seminar in seinem Tagebuch, stand diesem zufolge am 11. April schon die Wanderstrecke und das Hauptthema „Antikommunismus“ fest.

Auch die kirchlich Verantwortlichen sahen sich gehalten, früh das Friedensseminar mitzuplanen. Bereits am 31. Januar 1985 gab der Stellvertreter für Inneres des Rates des Bezirkes Schwerin, Schwoerke, in einem Gespräch mit Bischof Stier und Oberkirchenratspräsident Müller zu verstehen, daß die Untersuchungen gegen Heiko Lietz gemäß § 95 Abs. 1 STPO eingestellt worden seien, weil er nämlich „aktenkundig gegen Unterschriftsleistung belehrt wurde: - keine Verbindung zu fremden Mächten, deren Einrichtungen und Organisationen; - keine Nachrichten ins Ausland übermitteln oder übermitteln zu lassen oder Aufzeichnungen zu diesem Zweck herzustellen; - keine Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit oder Maßnahmen, die die Gesetze verletzen oder Aufforderungen dazu; - keine Verstöße gegen Ordnungsbestimmungen, insbesondere Veranstaltungsverordnung“ vorzunehmen.“ [52]

Schien sich hier einiges zu entschärfen, sorgte im März die Frage der Verantwortungsübernahme abermals für Spannungen. In einem Bericht zum Kessiner Friedenskreis vom 12. März notierte IM Engel: „Landessuperintendent Goldenbaum ist der festen Meinung, daß die von Lietz für August 1985 geplante Aktivität in der Petrigemeinde nur dann durchgeführt werden könnte, wenn sich ein Pastor aus Rostock verantwortlich fühle. [...] Aber es ist bisher kein Rostocker Pastor für diese Verantwortung gefunden worden,  [...] Nath kommt nicht in Frage, weil er kein Rostocker Pastor ist.“[53]

Diese Problematik hielt sich noch bis in den Mai, wo auf der AGF-Sitzung vom 14. Mai Bindemann seine Unsicherheit äußerte, ob der Kessiner Friedenskreis als Trägergruppe bezeichnet werden darf, zumal auch Dieter Nath sich vom Friedensseminar zurückzog. Durch diesen Rückzug bedingt (der auch das Ende des Kessiner FK einleitete), mußte über Alternativen kirchlicher Trägerschaft nachgedacht werden. Lietz sah drei Möglichkeiten: Entweder eine Durchführung durch die ESG Rostock gemeinsam mit der Schalomgemeinschaft[54], falls Markus Meckel im selben Jahr zum Studentenpfarrer in Rostock gewählt werden würde. Zweitens eine Durchführung durch die Schalomgemeinschaft auf dem Michaelshof mit Unterstützung von Pfarrer Struck. Als dritte Alternative kam eine Durchführung durch den Güstrower Friedenskreis in Frage. Letztendlich wurden die folgenden Friedensseminare durch die Schalomgemeinschaft getragen, auch wenn Meckel nicht Studentenpfarrer in Rostock wurde.

 

Parallel zu diesen Entwicklungen bearbeitete die kirchenpolitische Verwaltung kirchliche Amtsträger. „Gespräche, in denen die grundsätzlichen staatlichen Erwartungshaltungen zu den Mobilen Friedensseminaren der Schalomgemeinschaft Rostock dargelegt wurden, führten der Referent für Kirchenfragen beim Rat des Bezirkes Rostock, Gen. Macht mit Oberkirchenrat Siegert/Schwerin und Oberkirchenrat Schwerin/Schwerin. Durch Oberkirchenrat Siegert/Schwerin (zur Zeit amtierender Bischof) wurde als Verantwortlicher für die Veranstaltungen der „Schalomgemeinschaft Rostock“ Landessuperintendent Goldenbaum/Rostock ernannt. Der Referent für Kirchenfragen des Rates des Bezirkes Schwerin, Gen. Franze, führte Gespräche mit Landessuperintendent Sagert/Güstrow und Probst Lange/Neukirchen, der durch Landessuperintendent Sagert/Güstrow für den Ablauf des Mobilen Friedensseminares im Territorium des Kreises Bützow verantwortlich benannt wurde. Weitere differenzierte Gespräche mit Pastoren, die Lietz/Güstrow in die Vorbereitung und Organisation des Mobilen Friedensseminares einbezogen hatte, führte der Kirchenreferent des Rates der Stadt Rostock, Manteuffel, sowie der amtierende Vorsitzende des Rates des Kreises Bützow, Gadinger.“ [55]

 

Nachdem Pfarrer Bindemann am 28. Februar 1985 mit einem Brief an den OKR sein Amt als Vorsitzender der AGF zum 31. März 1985 niedergelegt hatte, wurde nach längeren Querelen die Arbeit und Organisationsstruktur der AGF neu definiert und das Gewicht der Basisgruppenvertreter in ihr gesteigert. Mit Hans-Jürgen Rietzke wurde ein neuer Beauftragter für die Friedensarbeit der ELLKM berufen. Heiko Lietz wurde zum Vorsitzenden der AGF gewählt.

 

Der Staatssicherheitsdienst wurde wie in jedem Jahr durch IM Günther Engel über die Vorbereitungsaktivitäten informiert. Am 27. April berichtete er über eine vorläufige Teilnehmerliste zum Friedensseminar, und am 10. Juli vermeldete Engel das Ende des Kessiner Friedenskreises. Daraufhin wurde eine Vorab-Zusammenkunft der DDR-Teilnehmer des Sommerseminars zu Lietz nach Güstrow verlegt, was der dortige Landessuperintendent Sagert genehmigte.

Am 10. Juli verfaßte die Hauptabteilung XX des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin eine „Information zur Durchführung einer sogenannten Sommerwanderung der Schalomgemeinschaft Rostock vom 4.-11. August 1985“. Wird hier erstmalig dem Trägerwechsel zur Schalomgemeinschaft Rechnung getragen, zeichnet sich mit  dieser Akte auch eine Intensivierung der Maßnahmen zur Verhinderung und Einschränkung des Friedensseminares ab. Nicht nur der Verfasser, die Hauptabteilung XX in Berlin, sondern auch der Umfang und die aus dieser Vorplanung hervorgehenden Aktivitäten im Sommer 1985 durch den Staatssicherheitsdienst, weisen auf  eine Intensivierung der Beobachtung des Friedensseminars nicht nur durch den Staatssicherheitsdienst hin. „[...] 2. Im Zusamenwirken mit den zuständigen staatlichen Organen werden unter Einbeziehung der Bürgermeister der Orte Rostock, Kessin, Schwaan, Tarnow und Bernitt, weitere Einflußnahmen auf kirchenleitende Personen und Gemeindepfarrer ausgeübt, um die Ordnung und Sicherheit vor Ort zu gewährleisten bzw. die möglichen Provokation zu unterbinden. 3. Die vorhandenen operativen Kräfte werden zur Kontrolle der Veranstaltung und zur positiven Beeinflussung eingesetzt. 4. Durch die BV Rostock und Schwerin erfolgt in Zusammenwirkung mit der Deutschen Volkspolizei ein Kontrolleinsatz zur Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit. 5. Bekannt werdende ausländische Teilnehmer, die bei Aufenthalten in der DDR politisch negativ in Erscheinung traten, erhalten im Zeitraum vom 3.-11.8.1985 keine Genehmigung zur Einreise in die DDR. In diesem Zusammenhang erfolgt die Informierung und Einbeziehung der HA VI und VII.“[56] Am 22. Juli beschloß die Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit in Schwerin, wie auch in den Vorjahren, die mobile Beobachtung vor allem von Lietz aber auch die Dokumentierung der ihn begleitenden Gruppe.

 

Ab dem 4. August reisten die Teilnehmer in Rostock an, besichtigten am 5. August die Stadt und besuchten am Nachmittag eine Kirche in  Rostock-Lichtenhagen und die naheliegende Steilküste. Am Abend erfolgte die Vorstellungsrunde. Der 6. August begann mit einer Andacht durch Heiko Lietz in der Petrikirche Rostock, die ein ganztägiges Fasten zum Gedenken an die Opfer des Atombombenabwurfs vor 40 Jahren einleitete. Über den Tag wurde in zwei Gruppen „Die Bedeutung des 6. August in seiner Kurz- und Langzeitwirkung“ diskutiert. Mittags stießen Johann Klasse aus Schweden und William Hetherington aus England zum Seminar, die vor- und nachher Teilnehmer des 10. Marsches für Militarisierung in Skandinavien waren und einen Aufruf verlasen. An den Abendgottesdienst in der Heilig-Geist-Kirche schloß sich die Vorführung des Films „Die verlorene Generation“ an.

Die eigentliche Wanderung begann am 7. August mit einem fünfstündigen Fußmarsch von Rostock nach Schwaan, wo die Gruppe im Pfarrhaus übernachtete. An den folgenden Tagen wanderte die Gruppe jeweils nach Tarnow und Bernitt. Am 10. August fuhren die Niederländer und Bundesbürger von dort wieder nach Hause. Am 11.8. war auch für DDR-Bürger das Friedensseminar zu Ende.

Sowohl in Schwaan, Bernitt und Tarnow hatte die Abteilung VIII/1a der BV Schwerin Beobachtungsstützpunkte in Privatwohnungen oder in Verwaltungsgebäuden eingerichtet.

 

Im Ergebnis dieses Friedensseminars kam es am 5. September 1985 zu einer Beratung des Leiters der Hauptabteilung XX/4 aus Berlin mit den Leitern und den Referatsleitern der jeweiligen Abteilung XX der Bezirksverwaltungen des MfS in Schwerin, Rostock und Neubrandenburg. Gegenstand der Beratung war primär die Auswertung der Friedensseminare von Lietz und Meckel. Dabei wurde als internes Ziel des MfS ausgegeben, daß es 1986 keine Friedenswanderung und kein Friedensseminar mehr gibt. „Bis zum XI. Parteitag muß die Bearbeitung von Lietz so forciert werden, daß L. als Problemperson vom ‚Tisch’ ist. Das ist ein Kampfauftrag. [...] Genosse Wiegand teilte mit, daß von Seiten der Hauptabteilung eine Information erarbeitet wurde, in der mit dem ZK der SED abgestimmte Auswertungsmaßnahmen fixiert sind. Wesentliche Festlegungen dabei sind: [...] Gesprächsführung Gysi/Stier. Bischof Stier [Stier wurde im Sommer 1984 Nachfolger von Heinrich Rathke im Bischofsamt der ELLKM. - d. Autor] werden insbesondere die schriftlichen Materialien vom Friedensseminar in Vipperow vorgelegt und der Mißbrauchscharakter nachgewiesen. [...] Vom Bischof wird verlangt, derartige Veranstaltungen, da sie nicht ausschließlich religiösen Charakter tragen, künftig anzumelden (Einhaltung VAVO). [...] Ausländerproblematik: Es hat sich bewährt und als richtig erwiesen, daß feindlich-negativen Kräften die Einreise nicht gestattet wird. Forderung/Standpunkt des ZK der SED, Genosse Krenz: Erkannten feindlich-negativen Kräften ist die Einreise nicht zu gestatten.“[57]

 

Auch das 1986er Friedensseminar wurde in nahezu allen AGF-Sitzungen des Frühjahres und Sommers 1986 vorbereitet. Schon am 27. März notierte Heiko Lietz in sein Tagebuch, daß das Friedensseminar um Markus Meckel in Neubrandenburg stattfinden wird. Wohl schon zu diesem Zeitpunkt stand fest, daß das Friedensseminar um Heiko Lietz dort seinen Anfang nehmen würde. J. J. Hutter war bis zum Ende des Friedensseminars mit einer Einreisesperre belegt, die im September 1986 aufgehoben wurde.

 

Am 8. April 1986 besuchte der Mitarbeiter des Rates des Bezirkes Schwerin, Franze, Landessuperintendent Sagert in Güstrow. Neben anderem besprachen sie auch eingehend das Friedensseminar von 1986. Drei Tage später sprach Franze auch mit Bischof Stier und Oberkirchenrat Müller. In Bezug auf oppositionelle Tätigkeiten unter dem Deckmantel der Kirche notierte Oberkirchenrat Müller Aussagen Franzes. „Es sei kein Mißtrauen, wenn Sorge wegen solcher Aktivitäten geäußert wird. Man sei gut gefahren, wenn das von der Kirche ernst genommen wurde. Als Beispiel für Beschwernisse nannte er das Friedensseminar des Jahres 1985. Es sei wichtig und notwendig gewesen, darüber vorher zu sprechen, und es sei nicht gelungen, alles so zu gestalten, daß es keine Belastungen gegeben hätte.“[58]

 

Auf der AGF-Tagung am 11. November 1986 kam zum wiederholten Male, aber nicht abschließend, die Frage der Trägerschaft der Mobilen Friedensseminare zur Sprache. Hier empfahl die AGF, daß die Vorbereitungsgruppe verantwortlich für inhaltliche und organisatorische Planung und Durchführungen des Seminars sei, während die Kirchengemeinden als Träger verantwortlich zu machen seien, wobei Kirchgemeinderäte schriftliche Voten vorlegen sollten. Die Kirchgemeinderäte und Gemeinden hätten auch als verbindliche Ansprechpartner zu fungieren.[59]

 

Der Staatssicherheitsdienst wurde  neben dem IM Engel nun auch durch die Seminarteilnehmerin und Inoffizielle Mitarbeiterin des MfS Ines Fleckstein informiert. Daneben wurde, wie im Jahr zuvor, ein großer technischer Aufwand zur Kontrolle des Friedensseminars betrieben. Das Seminar begann am 8./9. August in Güstrow. Von dort fuhren die Teilnehmer nach Neubrandenburg, um an der Abschlußveranstaltung des Friedensseminars um Markus Meckel teilzunehmen.

Am Sonnabend, dem 9. August, hielt dort der Rostocker Pfarrer Mahlburg den zentralen Vortrag des Abschlußwochenendes zum Thema „Menschenrechte“. „Es war sehr langweilig und sehr ausgewogen. In den Diskussionsgruppen wurde stark kritisiert, daß der Referent den sozialen Menschenrechten Priorität vor den sogenannten ‚bürgerlichen‘ gab. In der Diskussionsgruppe ‚Menschenrechte und Volksbildung‘, an der ich teilnahm, wurden Leistungsterror, Opportunismus und Militarisierung kritisiert und die Notwendigkeit stärkerer Beteiligung an den Elternbeiräten diskutiert. In jener [...] Gruppe ‚Menschenrechte und Volksbildung‘ übrigens präsentierte sich der Spitzel Ibrahim Böhme als fähiger Referent erstmals einem DDR-weit beschickten Seminar, vermutlich um seinen Einstieg in die Berliner Friedensbewegung im nächsten Jahr vorzubereiten.“[60]

Auf dem Abschlußplenum am 10. August verabschiedeten die Teilnehmer drei Texte, die in der Woche zuvor vom Friedensseminar um Meckel erarbeitet worden waren:

„1.-Brief an das ‚Europäische Netzwerk für den Ost-West-Dialog‘ (Pastor MECKEL, TUGENDHAT)

2.-Eingabe an die Abteilung Inneres des Rates des Bezirkes Neubrandenburg und den Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR zur Verweigerung der Einreise in die DDR für Bürger der BRD (Pastor MECKEL, Pastor GUTZEIT, WOLLENBERGER, Vera)

3.-Eingabe an die Synode des Bundes sowie das Ministerium für Umweltschutz der DDR zu ökologischen Problemen in der DDR (Wasserwandergruppe unter Leitung von Dr. KNAPP)“.[61]

Den vom zuständigen Gemeindepfarrer Martins durchgeführten Abschlußgottesdienst am 10. August 1986 in der Johanniskirche in Neubrandenburg besuchten ca. 250 Personen.

 

Nach dem Mittagessen am Sonntag fuhr die Gruppe zurück nach Güstrow und wanderte anschließend nach Kirch-Kogel. Während ihres Arbeitseinsatzes auf dem Pfarrhof am Montag, dem 11. August fiel die Entscheidung, nicht weiterzuwandern, sondern die gesamte Woche in Kirch-Kogel zu verbringen. Der Ablauf der folgenden Tage verlief dann regelmäßig derart, daß nach dem Frühstück und der Andacht bis mittags auf dem Grundstück gearbeitet wurde und nach dem Essen Ausflüge in die Umgebung gemacht wurden. Abends wurde thematisch gearbeitet.

Hier berichteten an einem Abend die holländischen Teilnehmer über ihre Erfahrungen in den IKV-Gruppen. Am Mittwoch, dem 13. August sprachen die Teilnehmer aus der DDR über ihre Erfahrungen in der Friedensarbeit. Am Donnerstag, dem 14. August wanderte das Seminar  nachmittags nach Güstrow. Dieser Ablauf des Seminars gefiel den Teilnehmern des Seminars offensichtlich so gut, daß man beschloß, vom 8. bis 15. August 1987 wieder in Kirch-Kogel eine Woche lang das Friedensseminar stattfinden zu lassen.

Weiterhin wurde ein Brief an Oberkirchenrat Müller verfaßt, worin sich die Gruppe für die Unterstützung bedankte und gleichzeitig darum bat, sich bei staatlichen Stellen gegen die Einreiseverbote zu verwenden. Der Seminarteilnehmer und Mitarbeiter der Bundestagsfraktion "Die Grünen", Lothar Probst, bot sich an, als Teilnehmer einer Parteidelegation Anfang September 1986 diese Problematik in der Volkskammer der DDR anzusprechen.

 

Die Ausländerproblematik im Mobilen Friedensseminar kam in einem AGF-OKR-Gespräch am 23. März 1987 zur Sprache. Auch die weitere Planung des Friedensseminars 1987 lief auf AGF-Ebene und im Rahmen einer Vorbereitungsgruppe um Heiko Lietz. Die mögliche Teilnahme niederländischer Staatsbürger führte wiederholt zu reger Stasitätigkeit. Ein Artikel über das Friedensseminar in der IKV-Zeitschrift „Kernblad“ führte zu erhöhter Aufmerksamkeit seitens der Sicherheitsorgane. Wegen einer geplanten Honecker-Reise in die Niederlande im selben Jahr sollten Einreisesperren gegen niederländische Teilnehmer verhängt werden, um Absprachen mit Oppositionellen aus der DDR zu verhindern.

 

In seinem Referat für die Dienstberatung mit Stellvertretern für Inneres und Mitarbeitern für Kirchenfragen am 11. Juni 1987 benannte Schwoerke (oder Franze) besondere Schwerpunkte kirchenpolitischer Arbeit, die es künftig verstärkt zu berücksichtigen gelte. Dabei wies er auf  „zu erwartende Friedenswanderungen, Friedensseminare und dergleichen Anfang August“ hin.[62] Am 5. August informierte der Rat des Bezirkes Schwerin den Staatssekretär für Kirchenfragen in seiner zweimonatlichen kirchenpolitischen Berichterstattung für Juni/Juli 1987 unter dem Punkt Terminvorschau über die VII. Mecklenburgische Friedenswanderung vom 8.-15.8.1987. [63]

 

Erste konkrete Planungen seiner Tätigkeit in Bezug auf das Friedensseminar nahm der Staatssicherheitsdienst am 20. Mai 1987 vor. In seinem Maßnahmeplan zur Vorbeugung und Verhinderung feindlicher Aktivitäten in Zusammenhang mit der Friedenswanderung wurde festgestellt, daß nicht wie von den Teilnehmern erhofft Kirch-Kogel sondern Bernitt Veranstaltungsort wird.

Auf der Grundlage einer am 18. Mai 1987 erfolgten Abstimmung innerhalb der HA XX/4 wurde vom Staatssicherheitsdienst beschlossen, unter Federführung der Abteilung XX der BV Schwerin in enger Koordinierung mit den Abteilungen XX der Bezirksverwaltungen Rostock und Neubrandenburg sowie der verantwortlichen territorialen Kreisdienststellen Güstrow und Bützow in der Kreisdienststelle Bützow eine operative Arbeitsgruppe einzurichten. Diese sollte dort vom 8. bis 15. August 1987 „die Einleitung und Realisierung des politisch operativen Zusammenwirkens der  Kontroll- und Sicherungsaufgaben einschließlich der Organisierung des politisch-operativen Zusammenwirkens mit den zuständigen staatlichen Organen der Volkspolizei und weiteren gesellschaftlichen Kräften“[64] koordinieren.

 

Zum Friedensseminar kamen ca. 30 Personen aus den Bezirken Schwerin, Rostock und Berlin mit ca. 8 Kindern nach Bernitt. Acht Teilnehmer reisten aus den Niederlanden an. Am Sonntag, dem 9. August, besuchten einige Teilnehmer einen Gottesdienst. Am 10. und 12. August wurden Tageswanderungen  in die nähere Umgebung, u. a. am 13. August nach Vietzen, unternommen. Thematisch wurde über Friedensaktivitäten der Berliner Friedensgruppen als auch über die Ergebnisse des Friedensseminars um Markus Meckel vom 1. bis 9. August gesprochen. Dominantes Thema war aber der in Aussicht stehende Olof-Palme-Friedensmarsch, an dem sich vor allem Lietz am 1. September in Stralsund, im Rahmen der Eröffnung des Friedensmarsches, beteiligen wollte.

 

[1] Vgl. Tagebuch Heiko Lietz, Bd. I, 18.12.1980.

[2] „Auftragsersuchen – Beobachtung“, KD Güstrow, 18. August 1981, Stasiakten Heiko Lietz.

[3] „Plan für die Durchführung der Beobachtung“, BV des MfS Schwerin Abt. VIII/1a, 20. August 1981, Stasiakten Heiko Lietz.

[4] Vgl. Tagebuch Heiko Lietz, Bd. I, August 1981.

[5] „Grundsatzpapier für die Wanderungen des Kessiner Friedenskreises, Klueß, August 1981“ in : Lietz, Heiko: Die Entwicklung der Opposition im Norden, in: Leben in der DDR, Leben nach 1989 - Aufarbeitung und Versöhnung, hg. vom Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Bd. IX, Schwerin 1997, S. 197-228.

[6] Vgl. Tagebuch Heiko Lietz, Bd. I, August 1981.

[7] M. Domaschk-Archiv, Bestand H. Lietz, Mappe Kessiner Friedensseminar.

[8] Heinrich Rathke, Jahrgang 1928, war von 1971 bis 1984 Bischof der ELLKM. Ab 1984 arbeitete er als Pfarrer in Crivitz/Mecklenburg, wo er 1989 u.a. die Ortsgruppe des Neuen Forum mitgründete.

[9] „Vorlage für die Sitzung des Oberkirchenrates am 19. März 1985“ Stasiakten Meckel Band 4 Blatt 320, Archiv Meckel.

[10] Der Oberkirchenrat (OKR) ist das ständige kirchenleitende Organ der Mecklenburgischen Landeskirche. Dessen mit Sitz und Stimme ausgestattete hauptamtliche Mitglieder (Theologen oder Juristen) führen ebenfalls die persönliche Amtsbezeichnung Oberkirchenrat.

[11] NIEDERLÄNDISCHER ZWISCHENKIRCHLICHER FRIEDENSRAT (IKV), der  sich auch der Vernetzung  niederländischer christlicher  Friedensgruppen mit denen  anderer Staaten widmete.

[12] Vgl. Tagebuch Heiko Lietz, Bd. I, Juli 1982.

[13] Vgl. Handschriftliche Notizen von Heiko Lietz zum Friedensseminar von 1982, Archiv Lietz.

[14] Henning Utpatel und Michael Körner waren zu diesem Zeitpunkt noch Studenten der Theologie. Nach ihren Vikariaten wurden sie Pfarrer in der Mecklenburgischen Landeskirche. Utpatel ist heute Pfarrer in Berlin, Körner Landtagsabgeordneter der SPD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern.

[15] Abschrift eines mündlichen Berichtes des IM „Klaus Kruse“ (Pfarrer Hermann Pietsch, Strasen), den dieser bei einem Treff in einer konspirativen Wohnung am 11. Februar 1982 in Neustrelitz seinem Führungsoffizier Oberleutnant Mäding von der Abteilung XX/4 der BV Neubrandenburg gab. BSTU Ast. Nbg., BV Nbg. LA 790/85 (Abt XX I 1873/71 Teil II, Band II), Blatt 164.

[16] „Einleitungsbericht zur operativen Personenkontrolle“ Markus Meckels vom 11. Mai 1982, verfaßt vom Leiter des Referates 4 der Abteilung XX der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit Neubrandenburg Gräber, Stasiakten Meckel Band 2 Blatt 009, Archiv Markus Meckel.

[17] „Auftragsersuchen – Beobachtung“, KD Güstrow, 3. August 1982, Stasiakten Heiko Lietz.

[18] Der Kessiner Friedenskreis wurde am 26. Juli 1980 in Güstrow gegründet. Nach der Entlassung von Heiko Lietz aus seinem kirchlichen Amt arbeitete er ab Juli 1981 in Kessin bei Rostock. Bis einschließlich dem von 1984 fanden die ersten Mobilen Friedensseminare in seiner Verantwortung statt. Im Jahre 1985 zerfiel der Kessiner Friedenskreis.

[19] Brief Oberkirchenrat an Pastor Dieter Nath vom 12. April 1982. Ging in Abschriften an Landessuperintendent Timm (Malchin), Landessuperintendent Ohse (Bad Doberan), Pastor Wunderlich (Röbel) und Vikar Meckel (Vipperow), Archiv Meckel.

[20] Brief Oberkirchenrat an Landessuperintendent Timm vom 22. April 1982, ging in Abschriften an Landessuperintendent Ohse, Pastor Nath, Pastor Wunderlich und Vikar Meckel, Archiv Meckel. Auch abgedruckt in: Heiko Lietz: Die Entwicklung der Opposition im Norden, S. 287.

[21] Ebenda.

[22] Aus „Einleitungsbericht zur operativen Personenkontrolle“ Markus Meckels, Stasiakten Meckel Band 2 Blatt 010, Archiv Meckel.

[23] LHMV Best. RdB Nbg. Z/77/90 - 816.

[24] Ebenda.

[25] Brief an OKR-Präsident Müller vom 29. Juli 1983, M. Domaschk-Archiv, Bestand H. Lietz, Mappe Kessiner AK.

[26] „Verweigerung der Einreise in die DDR“, Stasiakten J. J. Hutter, 1983 Blatt 17.

[27] Eckart Hübener, Jahrgang 1953, ist seit 1984 Pfarrer in Mecklenburg. Neben seiner Mitgliedschaft in der AGF ab 1985 wurde er 1988 Koordinator des grün-ökologischen Netzwerks „Arche“ in Mecklenburg. Nach der Wende war er u.a. Mitglied des Bundeshauptausschusses der Partei Bündnis 90/Die Grünen.

[28] „Überarbeitung des schriftlichen Berichtes des IMB vom 10. 02. 1983“ BSTU Außenstelle Schwerin, „Heinz“ Reg. Nr. V 532/77