Widerstand in Mecklenburg-Vorpommern

Bobbin: Brief an die Ökumenische Versammlung

10. Februar 1989

Ökumenische Versammlung

Ein Bobbiner Geinderatsmitglied schrieb am 10. Februar 1989 unter der Überschrift „ Mehr Gerechtigkeit in der DDR – unsere Aufgabe, unsere Erwartung“  an die Ökumenische Versammlung.[1]

„Durch Umkehr zum Umdenken (siehe Mecklenburger Kirchenzeitung vom 23.10.88). Es ist wichtig, daß wir anhand der Texte unsere Wege für die Zukunft der Kirchen und für uns als Christen selbst überdenken und diskutieren. Wir werden in unserem Kirchgemeinderat wichtige Punkte aufnehmen und konkrete Schritte für unsere eigene Gemeinde überlegen. Die Wirklichkeit wird oft als undurchschaubar erlebt. Warum ist das so, diese ‚Nischenexistenz und Aussteigermentalität‘. Man darf sich nicht frei versammeln, deshalb geschieht dies sozusagen unter dem Schutzmantel der Kirche und daraus resultiert diese Reaktionsweise. Durch die Mauer und die Grenze zwischen Ost und West wird das Leben hier als besonders belastend empfunden. Ich meine, viele, die weggehen, wollen den Problemen hier aus dem Wege gehen und gerade das ist falsch. Menschen, die kritisch und offen ihre Meinung sagen, werden hier dringend gebraucht, denn die Mehrheit kritisiert nur hinter vorgehaltener Hand. Kritik ist gut, aber sie darf nicht einseitig ausgeübt werden, z.B. ,‘Herr Stolpe und der Idealfall‘! Erscheint in der Kirchenpresse einmal eine Kritik, welche die Gesellschaft berührt, fühlt der Staat sich angegriffen und es wird als sehr böswillige Einmischung in gesellschaftliche Fragen betrachtet, die nach staatlicher Ansicht nicht die Kirche zu interessieren hätten. So bleibt letztendlich der Artikel im ‚Sieb‘ der Zensur hängen. Die Menschen hier sehnen sich nach ‚Perestroika und Glasnost‘ was ja teilweise in sozialistischen Ländern seinen Anfang genommen hat.

Die neue Gesetzgebung über Reisen ins Ausland ist schon ein Schritt in diese Richtung. Wir werden nach ihrer Praxis sehen, daß dieses noch nicht das Ideale ist, was unsere Bürger erwarten. Bei den Erfordernissen und Erwartungen wären vielleicht noch einige Zusätze zu machen, aber die jetzt durchzuführen, wäre nicht sehr wirkungsvoll; denn die wichtigsten Kernpunkte haben Sie ja bereits genannt. Zu den Aufgaben für Christen meine ich, daß es auch unter uns Christen leider eine Mehrheit gibt, die nicht zu ‚mutigen Schritten für mehr Gerechtigkeit‘  bereit ist, die sich durch die eventuell dadurch entstehenden Nachteile abschrecken lassen.“[2]

[1]https://de.wikipedia.org/wiki/...

[2] Sachse, Christian (Hg.) "Mündig werden zum Gebrauch der Freiheit". Politische Zuschriften an die Ökumenische Versammlung 1987 - 89 in der DDR, Münster 2004, S. 116.