1. Januar 1989
Als der ehemalige Deutsch- und Kunstlehrer Georg Meyer- Rienecker aus Wittenburg kurz vor der Friedlichen Revolution Oberlehrer werden sollte, lehnte er mit der Begründung ab: „Es sind zu viele Oberlehrer geworden, die es nicht hätten werden dürfen, und anderen, die es verdient hätten, blieb es versagt.“ Damit hatte sich der Lehrer eine Ungeheuerlichkeit erlaubt. „So saß ich kurz darauf dem Bezirksschulrat, der Schulleitung und der Gewerkschaft gegenüber“, erinnert sich Georg Meyer- Rienecker. „Man wollte mich quasi zwingen, die Auszeichnung anzunehmen.“ Doch der Wittenburger hatte seinen Stolz; er wusste, was er konnte. Dass er als Kunstlehrer sehr geschätzt war, spielte im DDR-Schulsystem jedoch keine Rolle. „Ich gehörte zu denen, die nicht in der Partei und somit Lehrer zweiter Klasse waren.“ Wie alle Lehrer tat auch Georg Meyer-Rienecker seit 1962 zumeist das, was von ihm als Pädagoge an einer sozialistischen Schule verlangt wurde. Als Klassenleiter musste auch er in Elternhäuser gehen und für die Jugendweihe werben. Aber nicht alles machte der Wittenburger. …. „Ich hielt es für unmoralisch, Jungen aus der 8. Klasse ohne elterlichen Beistand für die Armee zu werben. Hier weigerte ich mich.“ Doch im Laufe der Jahre bemerkte Georg Meyer-Rienecker, dass sich die Eltern veränderten. „Zu Endzeit der DDR begegnete ich einer Generation vor mir, die in diesem Staat aufgewachsen war, ein völlig anderes Weltbild besaß und sich offenbar nicht wunderte, dass die Kinder bei der Wehrerziehung durch unterirdische Schächte kriechen mussten.“ Wenn Schüler zu bestimmten Anlässen kein FDJ-Hemd trugen, gab es Druck von der Schulleitung. „Den gaben wir Lehrer zwangsläufig weiter“, so Meyer- Rienecker. „Angst war nun mal der Klebstoff, der in der DDR alles zusammengehalten hat.“ Miterlebt habe er beispielsweise, dass bei einem Schüler, der Bravo–Bilder getauscht hatte, die Polizei dessen Wohnung durchsuchte. Dass Kunstlehrer Meyer-Rienecker auf Klassenfahrten mit seinen Schülern sogar Kirchen besuchte, konnte er später in seiner Stasi-Akte nachlesen. Irgendwann bemerkte er, dass der Begriff „Toleranz“ für die Behandlung des Stücks „Nathan der Weise“ aus dem Lehrplan gestrichen war. Im September 1989 besucht er zusammen mit seiner Frau in Hagenow einen kleinen Kreis um das Pastorenehepaar de Boor, der sich für die Zulassung des Neuen Forums einsetzt. „Auf dem Weg zur Schule habe ich anderntags damit gerechnet, festgenommen zu werden“, so der Wittenburger. „Schließlich war mir bekannt, dass ein ehemaliger Schüler, der nicht zur Armee wollte, von der Straße weg ins Auto gezerrt worden war. Ich wusste, die Stasi greift zu.“[1]
[1] Herbst 1989 in der Region Ludwigslust/Hagenow: http://tastenfischer.de/wp-con...