10. März 1939
Judenunterstützung Widerstand aus der Evangelischen Kirche Bekennende Kirche
Drei Monate nach der Reichskristallnacht erließ der mecklenburgische Landesbischof Walter Schultz am 13. Februar 1939 das „Kirchengesetz über die kirchliche Stellung der Juden". In diesem wurde unter anderem in Paragraf eins festgelegt, dass Juden „nicht Angehörige der evangelisch-lutherischen Kirche Mecklenburgs werden“ dürften und in Paragraf zwei, dass kein Geistlicher zu Amtshandlungen an Juden, welche vor Inkrafttreten dieses Gesetzes Angehörige der evangelisch- lutherischen Kirche Mecklenburgs wurden, verpflichtet sei.
Verschiedene Geistliche der Landeskirche antworteten auf dieses Gesetz am 10. März 1939 mit einem offenen Brief an den gesetzgebenden Bischof, in dem es heißt:
„Sie haben in Ihrer Eigenschaft als Landeskirchenführer unter dem 13. Februar 1939 ein Gesetz über die kirchliche Stellung der Juden erlassen. Nicht auf Grund einer besonderen Auffassung oder Auslegung der Heiligen Schrift oder der Bekenntnisschriften unserer Kirche, sondern auf Grund der §§ 1 und 2 des Kirchengesetzes vom 13. September 1933 über die Bestellung eines Landeskirchenführers und gemäß § 2, Absatz 1 und 3, der 17. Verordnung vom 10. Dezember 1937 zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche RGBL I, Seite 1346. Glauben Sie, daß diese Gesetzesparagraphen die fehlende Begründung aus der Heiligen Schrift und den Bekenntnisschriften unserer Kirche ersetzen können? Oder glauben Sie, kirchenregimentliches Handeln bedürfe einer solchen Rechtfertigung nicht? — Das Kirchenregiment hat keine andere Aufgabe als die rechtliche und verwaltungsmäßige Sicherung geordneter und schriftgemäßer Wortverkündigung und steht darum unter derselben Norm und derselben Verantwortung wie das Amt der Verkündigung. Sind Sie sich darüber klar geworden, in welche unmögliche Lage Sie die Pastoren der evangelisch-lutherischen Landeskirche Mecklenburgs bringen, wenn Sie ihnen ein Handeln bzw. Unterlassen zumuten, das im striktesten Gegensatz zu dem Neuen Testament steht, vor dem sie ihr Tun und Lassen zu verantworten haben, und wenn Sie von ihnen einen Gehorsam fordern, der sie zum Ungehorsam gegenüber den im Ordinationsgelübde übernommenen Pflichten nötigt? — Oder steht der Taufbefehl nicht mehr in Ihrem Neuen Testament? — Er steht aber in dem Neuen Testament, das auf den Altären und Kanzeln der mecklenburgischen lutherischen Kirchen liegt. Wie wollen Sie Ihr Gesetz damit in Einklang bringen? — Soll in den lutherischen Kirchen unseres Landes nicht mehr über den Römerbrief, nicht mehr über die Apostelgeschichte und die Evangelien gepredigt werden, die doch alle im Widerspruch zu Ihrem Gesetz stehen? Ist das der Kirche anvertraute Evangelium die frohe Botschaft von dem Heil, das Gott in Jesus Christus allen Sündern geben will, oder nicht? — Hat der Herr Christus seinen Willen kundgetan, daß allen Menschen geholfen werde und alle zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, oder nicht? Hat er seine Jünger in alle Welt gesandt, zu lehren und zu taufen alle Völker, oder nicht? Ist das die frohe Botschaft, daß Gott vom Heil in Jesus Christus niemanden ausschließt und ausschließen läßt, oder nicht? — Wenn das aber der Wille Gottes und sein heiliges Evangelium ist, wie können Sie dann diesem Willen in den Arm fallen wollen? Und wie können Sie die Diener Gottes daran hindern wollen, diesem Willen zu gehorchen? Und wie können Sie an die Stelle des Evangeliums ein Gesetz setzen wollen, das Sie sich selbst ausgedacht haben? — Meinen Sie wirklich, es wäre in Ihre Hand gegeben, darüber zu entscheiden, was ein Christ zu tun und zu lassen verpflichtet ist? Glauben Sie wirklich, ein Recht zum Lösen zu haben, wo unser Herr gebunden hat? — Und trauen Sie es den lutherischen Pastoren in Mecklenburg wirklich zu, daß sie dem Taufbefehl unseres Herrn ungehorsam werden, nur weil Sie es befehlen? Aber vielleicht haben Sie, als Sie sich dieses Gesetz ausdachten, angenommen, daß die lutherischen Pastoren in Mecklenburg Ihnen wenigstens nicht öffentlich widersprechen würden in der Besorgnis, daß man ihnen das als ‚Sabotage an der Judengesetzgebung‘ auslegen würde. Ich kann Sie daran nicht hindern und glaube es Ihnen dennoch schuldig zu sein, Ihnen offen und öffentlich zu erklären, daß ich dieses Ihr Gesetz nicht annehme und nicht halten werde, solange Sie es nicht vor der Heiligen Schrift und den Bekenntnisschriften unserer Kirche rechtfertigen können. Danach frage ich Sie vor der Öffentlichkeit der lutherischen Pastorenschaft Mecklenburgs. Sie hat mich nicht zu ihrem Sprecher bestellt, und doch bin ich gewiß, daß jeder lutherische Pfarrer in Mecklenburg diese Frage an Sie auf dem Herzen hat. Und auch wenn es nicht so wäre — die heilige christliche Kirche selbst fragt Sie, wie Sie ein Gesetz rechtfertigen wollen, das an ihre innere Substanz, die Rechtfertigung aus dem Glauben, greift. Es ist sinnlos, gegen den Fragesteller zu polemisieren. Es handelt sich nicht um den Fragesteller, sondern um die Frage. Sie läßt sich nicht zum Schweigen bringen. Sie muß beantwortet werden! Ehrerbietigst gez. Karl Kleinschmidt“[1]
[1] Glaube und Gewissen. Eine protestantische Monatsschrift. 15. Jg., 1/1969, S. 10.