Widerstand in Mecklenburg-Vorpommern

Güstrow: Rudolf Pechel publiziert kritisch und wird verhaftet

8. April 1942

Medien

Rudolf Pechel. Konservativer Publizist und Widerstandskontakt

Christoph Wunnicke

Kindheit und Ausbildung

Rudolf Ludwig August Martin Pechel wurde am 30. Oktober 1882 in Güstrow als Sohn des Gymnasiallehrers Ludwig Pechel geboren. Nach Volksschule und Domgymnasium legte er 1901 das Abitur ab, leistete seinen Militärdienst als Seekadett und studierte ab 1902 in Göttingen und Berlin Philosophie, Germanistik, Anglistik und Volkswirtschaft. 1908 wurde er zum Dr. phil. promoviert. Es folgten Stationen am Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar, am Märkischen Museum in Berlin und beim Literarischen Echo. Im Jahr 1911 übernahm er vertretungsweise die Redaktion der von Julius Rodenberg gegründeten Deutschen Rundschau; im Ersten Weltkrieg diente er im Marinekorps Flandern und als Kommandeur einer Seefliegereinheit. Im April 1919 wurde er Herausgeber der Deutschen Rundschau, die ab 1924 im eigenen Verlag erschien.¹

Weimarer Jahre

In der Zwischenkriegszeit verband Pechel publizistische Arbeit mit politischer Einflussnahme im jungkonservativen Milieu. Im Umfeld des Juni-Klubs um Arthur Moeller van den Bruck und der „Ring-Bewegung“ profilierte er die Deutsche Rundschau als Forum konservativ-nationaler Debatten und förderte Autoren wie Edgar Julius Jung. Zugleich band er die Zeitschrift an Institutionen wie die Münchner „Deutsche Akademie“ und stabilisierte sie zeitweise durch industrielle und ministeriale Unterstützer.²

Weg in den Widerstand

Spätestens seit einer Begegnung mit Adolf Hitler 1922 wuchs Pechels Skepsis gegenüber dem Nationalsozialismus. Die Ermordung seines engen Freundes und Autors Edgar Jung während der Röhm-Affäre 1934 und der totalitäre Machtanspruch der NSDAP verschärften seine Distanz; die Gestapo observierte ihn. Ab 1936 intensivierte er die Verbindung zu Carl Friedrich Goerdeler, öffnete die Rundschau für verdeckt kritische Beiträge und bot Wohnung und Büro für Gespräche mit Gegnern des Regimes. Parallel hielt er Kontakt zu Militärs wie Siegfried Wagner und Friedrich Olbricht und nutzte Auslandsreisen in die Schweiz, nach Frankreich und England, um vor Hitlers Kriegskurs zu warnen. Aus dem „Volksdeutschen Rat“ zog er sich zurück, im Senat der Deutschen Akademie blieb er.³

Pechel entwickelte eine charakteristische Schreibweise, die Kritik in historische Maskierungen kleidete. Unter Rückgriffen auf ältere Autoren und Vergleiche attackierte er Personal und Strukturen des Regimes, oft mit satirischer Zuspitzung – vom Bild revolutionärer Kokarden bis zur Gegenüberstellung britischer Amtsträger mit Augenmaß. Die Warnung vor einem neuen Krieg speiste sich aus seiner Front- und Marineerfahrung; Textbausteine von Montesquieu bis Marc Aurel rahmten die Botschaften. Besonders Aufsehen erregte „Sibirien“ (September 1937), eine Analyse stalinistischen Terrors, deren Implikationen deutlich auf NS-Praktiken zielten.⁴

Repression und Haft 1942–1945

Im Januar 1942 kritisierte Pechel in der Deutschen Rundschau die deutsche Nachrichtenpolitik unter Goebbels; der Text wurde von der BBC verlesen und in der Schweiz nachgedruckt. Am 8. April 1942 wurde er verhaftet, die Deutsche Rundschau bald darauf verboten. Nach dem Hausgefängnis des RSHA kam er am 28. Mai 1942 ins KZ Sachsenhausen; ab August saß er mehr als zwei Monate im Zellenbau in Einzel- und Dunkelhaft, was bleibende gesundheitliche Schäden hinterließ. Im Juni 1944 wurde er in den Zellenbau des KZ Ravensbrück verlegt, um in der benachbarten Sicherheitspolizei-Schule Drögen Aussagen gegen Ludwig Beck und Carl Goerdeler zu erpressen; die Haftbedingungen verschärften sich nach dem 20. Juli 1944. Seine Frau wurde wegen Unterstützung des untergetauchten KPD-Funktionärs Franz Jacob am 12. Oktober 1944 vom Volksgerichtshof zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Pechel selbst gelangte am 24. September 1944 zurück ins RSHA-Hausgefängnis, vier Tage später in das Zuchthaus Tegel und nach Bombentreffern am 2. Oktober 1944 in die Gestapo-Abteilung des Zellengefängnisses Moabit. Ende Dezember erhob der Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof Anklage wegen Landesverrats und Feindbegünstigung, gestützt u. a. auf eine Besprechung im Januar 1942 bei Generaloberst a. D. Kurt von Hammerstein-Equord mit Goerdeler, Beck und Werner von Alvensleben. Am 1. Februar 1945 sprach ihn der 1. Senat unter Roland Freisler mangels Beweisen frei. Dennoch wurde er nach Moabit zurückverbracht und am 20. Februar 1945 erneut ins KZ Sachsenhausen überstellt, wo er in der Häftlingspoststelle eingesetzt wurde. Am 11. April 1945 erwirkte sein Sohn Eberhard („Peter“), inzwischen Hauptmann im OKH, bei Gestapo-Chef Heinrich Müller die Entlassung; am 14. April holte er den Vater in Sachsenhausen ab und brachte ihn über Berlin nach Güstrow.⁵

Neubeginn 1945/46: Parteigründung und Publizistik

Nach dem Einmarsch der Roten Armee leitete Pechel in Güstrow vorübergehend eine Betreuungsstelle für politische Häftlinge und kehrte dann nach Berlin zurück. Am 26. Juni 1945 gehörte er in Berlin zur Gründungsgruppe der Christlich-Demokratischen Union um Andreas Hermes und Jakob Kaiser. Vom 1. September bis Dezember 1945 war er Chefredakteur der neu gegründeten CDU-Tageszeitung Neue Zeit, legte das Amt jedoch wegen des politischen Kurses in der SBZ nieder. Ab April 1946 erschien die Deutsche Rundschau wieder – zunächst in Berlin mit britischer Lizenz, ab September 1948, nach Wegfall des Papierkontingents, in Stuttgart.⁶

Nachkriegsthemen, Netzwerke und Ehrungen

Pechel legte 1947 Deutscher Widerstand vor, eine frühe Gesamtschau auf oppositionelle Strömungen gegen das NS-Regime, und brachte 1948 die Camouflage-Texte der Kriegsjahre unter dem Titel Zwischen den Zeilen heraus, eingeleitet von Werner Bergengruen. Er kommentierte die Vertriebenenfrage, den aufkommenden Kalten Krieg, die Renaissance nationalsozialistischer Netzwerke und die unzureichende Reaktion der Alliierten auf deutsche Aggressionen. Im Jahr 1950 erschien in der Deutschen Rundschau der programmatische Beitrag „Land im Dunkel“ zur repressiven Kontinuität in der SBZ. Publizistisch pflegte er zugleich transnationale Vernetzungen, unter anderem im Umfeld des „Kongresses für kulturelle Freiheit“, und prägte Debatten über Freiheit, Europa und demokratische Öffentlichkeit. Aus Gesundheitsgründen siedelte er 1958 in die Schweiz über und starb am 28. Dezember 1961 in Zweisimmen.⁷

 

Fußnoten

1. Deutsche Biographie: „Pechel, Rudolf Ludwig August Martin“ (Online-Eintrag); Kommunismusgeschichte.de, Biolex: „Pechel, Rudolf“; Winfried Meyer (Hg.), Verschwörer im KZ. Hans von Dohnanyi und die Häftlinge des 20. Juli 1944 im KZ Sachsenhausen, Berlin 1999, insb. S. 320, 323–325.
2. Deutsche Biographie: „Pechel, Rudolf“; Volker Mauersberger, Rudolf Pechel und die »Deutsche Rundschau« 1919–1933. Eine Studie zur konservativ-revolutionären Publizistik in der Weimarer Republik, Bremen 1971.
3. Kommunismusgeschichte.de, Biolex „Pechel, Rudolf“; Deutsche Biographie: „Pechel, Rudolf“.
4. Joachim Scholtyseck, Robert Bosch und der liberale Widerstand gegen Hitler 1933–1945, München 1999, S. 636 (mit Verweisen auf Pechels Zwischen den Zeilen, Würzburg 1948, und Deutscher Widerstand, Erlenbach/Zürich 1947); Karl-Wolfgang Mirbt, Methoden publizistischen Widerstandes im Dritten Reich, nachgewiesen an der »Deutschen Rundschau« Rudolf Pechels, Diss. Berlin 1958.
5. Winfried Meyer (Hg.), Verschwörer im KZ, Berlin 1999, S. 320, 323–325 (Biographie-Abriss und Verfahrensgang); Kommunismusgeschichte.de, Biolex „Pechel, Rudolf“.
Kommunismusgeschichte.de, Biolex „Pechel, Rudolf“; Deutsche Biographie: „Pechel, Rudolf“.
6. Geisteswissenschaften an der Freien Universität Berlin: Ehrenpromotionen, Eintrag „Rudolf Pechel“, 30.10.1957 (Begründungstext); Michael Hochgeschwender, Freiheit in der Offensive? Der Kongreß für kulturelle Freiheit und die Deutschen, München 2009, S. 408 f. (Rollen Pechels im deutschen CCF-Kontext); Scholtyseck, Robert Bosch, S. 636; Rosemarie von dem Knesebeck, Rudolf Pechel und die »Deutsche Rundschau« 1946–1961, 1975.
7. Deutsche Biographie: „Pechel, Rudolf“ (Genealogie).