Widerstand in Mecklenburg-Vorpommern

Die Opposition und Zivilverteidigungsübungen in MV

4. September 1981

Zivilverteidigungsübungen

Die Opposition und Zivilverteidigungsübungen in MV

  Christoph Wunnicke

Anfang der 1980er Jahre wurden in der gesamten DDR Zivilverteidigungs- und Wehrbereitschaftsübungen durchgeführt. Am 4. September 1981 informierte die "Ostseezeitung" ihre Leser über eine für den 30. und 31. Oktober in der Rostocker Südstadt geplante Zivilverteidigungs-Übung.[1] Oberbürgermeister Henning Schleiff[2] schrieb: „Ziel dieser Übung ist es [...] die Wehrbereitschaft der Bevölkerung weiter zu erhöhen, sie zu befähigen, individuelle und kollektive Schutzmaßnahmen vor gegnerischen Waffenwirkungen zu realisieren sowie praktische Erfahrungen, die zukünftig zur weiteren Vervollkommnung der Maßnahmen der Zivilverteidigung in unserer Stadt beitragen werden."[3]

Bereits auf zwei Multiplikatorenkonferenzen im Juni und Oktober 1981 hatten Vertreter der Kirche, christliche Studenten über Verweigerung und andere Möglichkeiten zivilen Ungehorsams gegen diese Übung besprochen. „Der Studentenpfarrer KLEEMANN[4] plant die Bildung eines ‚Einsatzstabes‘, um Agitationsmaterial über die Ende Oktober 1981 in Rostock-Südstadt stattfindende Übung der Zivilverteidigung zu sammeln und aufzubereiten. Er hat die Vorstellung, einen Aufruf mit der Aufforderung, der Übung fernzubleiben, zu verfassen und an kirchlich gebundene Personen in der Südstadt zu verteilen."[5] Weiterhin zogen Christoph Kleemann und andere in Erwägung, „schriftliche Eingaben an den Rat der Stadt, um die Absetzung der Übung zu erreichen, Vorverlegung einer durch die Kirche geplanten Baumpflanzaktion auf den Zeitpunkt der Übung. Damit solle erreicht werden, daß die Studenten sich an der Baumpflanzung statt an der ZV-Übung beteiligen. Vorstellig werden kirchlicher Amtsträger beim Stab der Zivilverteidigung, um den Organisatoren ‚sachliche Fragen‘ zu stellen, passive Teilnahme von Theologen als Beobachter der Übung."[6]

Nachdem am 30. Oktober 1981 um 20 Uhr in der Südstadt-Gemeinde ein "Friedensgottesdienst" mit 250 Teilnehmern stattgefunden hatte, trafen sich am Morgen des 31. Oktober ca. 45 Jugendliche (überwiegend Mitglieder der ESG und der "Jungen Gemeinde") unter der Leitung des Pfarrers Walther Bindemann. Nach einem gemeinsamen Frühstück gingen ca. 15 von ihnen ‚in kleinen Gruppen zu Übungsorten. Ein Mitglied der ESG Rostock provozierte ZV-Kräfte mit angeblichen Sachfragen nach dem Sinn der Maßnahmen und bezeichnete die Übungsteilnehmer als naiv und dumm. Mehrere Einwohner wurden gleichfalls provokatorisch nach ihrer Meinung über die Übung befragt. Politisch negative Reaktionen der Angesprochenen wurden nicht bekannt."[7] Die Ostseezeitung resümierte: „Nach Auslösung des Alarms am Sonnabend um 7.40 Uhr und Entwarnung um 8.00 Uhr lief eine Maßnahme nach der anderen ab. [...] Noch einmal wurde eindrucksvoll den Bürgern demonstriert, welche Möglichkeiten es zum Schutz vor gegnerischen Angriffen gibt und welche Maßnahmen nach gegnerischen Waffenwirkungen zu ergreifen sind." [8]

Gunther Pistor, von 1972 bis 1997 Pfarrer an der St. Johannes Kirche in Rostock antwortete nach der friedlichen Revolution auf die Frage: „Gab es sonst Ereignisse, die zu größeren Diskussionen führten?“ mit den Sätzen: „Die Atomalarmübung in der Südstadt hat uns sehr bewegt - in der Verweigerung.“[9]

In Bad Doberan erwogen jugendliche Oppositionelle im September 1981 einen Schweigemarsch parallel zu einer ZV-Übung. Nach der Androhung „staatlicher Sanktionen“ beschränkten sie sich auf eine „Andacht gegen die ZV-Übung [...], in der die Sinnlosigkeit

von Schutzmaßnahmen nachgewiesen werden sollte“. Ein Pfarrdiakon ermutigte sie während dieser Andacht dazu „für den Frieden tätig zu werden“ indem die Teilnahme an Lagern der Zivilverteidigung wie auch der NVA-Wehrdienst verweigert werden sollte. Lehrlinge wurden außerdem aufgerufen, Schießübungen im Rahmen der vormilitärischen Ausbildung zu verweigern.[10]

 

Bereits zuvor engagierten sich Christen in Kessin gegen ZV-Übungen. „In einer öffentlichen Einwohnerversammlung, die zur Vorbereitung einer ZV-Übung in Kessin am 5.5.81 stattfand, entwickelte Heiko Lietz eine negative Polemik gegen die bevorstehende Übung. Lietz stand zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr im  kirchlichen Dienst, wurde aber von Ortspfarrer Nath zu dieser Versammlung mitgebracht. Die bekannten Mitglieder der 'Jungen Gemeinde' fühlen sich hierbei besonders angesprochen und gaben ihren Beifall offen zum Ausdruck."[11]

Heiko Lietz berichtete außerdem zwei Jahre später auf dem Kessiner Friedensseminar darüber, „daß er und zwei weitere Personen am 14. Mai [1983 - d. Autor] in Güstrow mit einer ‚gewaltfreien Aktion‘ gegen die Übung der Zivilverteidigung protestiert hätte. Während des Atomalarms wären sie mit einer brennenden Kerze in der Hand auf die Straße gegangen. Trotz der Kontrolle der Sicherheitsorgane wäre ihnen nichts geschehen. Er rief dazu auf, ähnliche Aktionen durchzuführen, weil hier offensichtlich Grenzen für die staatlichen Organe bestünden, was man gezielt ausnützen müßte."[12]

 

[1] "Vor der ZV-Übung in der Südstadt. OB Dr. Henning Schleiff informierte über die Vorbereitung", Ostseezeitung, 4. September 1981.

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/...

[3] "Vor der ZV-Übung in der Südstadt. OB Dr. Henning Schleiff informierte über die Vorbereitung", Ostseezeitung, 4. September 1981.

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/...

[5] "Information über weitere feindlich-negative Aktivitäten klerikaler Kräfte im Bezirk Rostock (Ergänzung zur Information Nr. 33/81 vom 15.6.1981)", 23.10.1981, BSTU BV Rostock Abt. XX Archiv-Nr.501, Bl.147.

[6] Ebenda, Bl.149.

[7] "Information über die Reaktion der Bevölkerung auf die Übung der Zivilverteidigung in der Rostocker Südstadt sowie über negativ feindliche Aktivitäten kirchlicher Kräfte in diesem Zusammenhang", 3.11.1981, BSTU BV Rostock Abt. XX Archiv-Nr.501, Bl.131-132.

[8] "Alle Aufgaben mit hoher Einsatzbereitschaft gelöst. Angehörige der Zivilverteidigung und Bürger bewiesen ihr Können bei der Übung in der Rostocker Südstadt", Ostseezeitung, 2. November 1981 S. 1/2.

[9] Pistor, Gunther: „Das war eine Grauzone des Möglichen, in: Höserl, Susanne / Scherer, Richard: Wir hatten Hoffnung auf eine Demokratie: Rostocker Protestanten im Herbst '89, Talheim 2000, S. 269.

[10] Halbrock, Christian: „Freiheit heißt, die Angst verlieren“ Verweigerung, Widerstand und Opposition in der DDR: Der Ostseebezirk Rostock, Göttingen 2014, S. 235.

[11] Informationsbericht April-Mai 1981 des RDB Rostock an Staatssekretär Gysi, Landesarchiv Greifswald Rep. 200 II 7.3 Nr. 87.

[12] "Information über das vom 13. Bis 15. Mai 1983 veranstaltete 'Kessiner Friedensseminar" BStU BV Rostock Abt. XX Archiv Nr. 501, Bl. 347.